Wenn man mit einem Mongolen unterwegs ist, kann es passieren, dass er von der Straße abbiegt und einfach in die Steppe fährt. „Eine Abkürzung vielleicht“, denkt man sich und sagt erst mal nichts. Dann hält er an einer Jurte nach der anderen an und scheint die Bauern nach dem Weg zu fragen. An dem Punkt, fragt man doch nach, was denn der Zweck dieser Mission sei. Weil das eigene Mongolisch schlecht ist und das Englisch des Gegenübers auch nicht gut, beschränkt sich die Information auf: „Ich kaufe ein Schaf, zum essen.“ Ok, macht Sinn. Die Preise auf dem Land sind niedriger als in der Stadt und der Mann muss seine Familie ernähren. Man nimmt den Umweg in Kauf und stellt sich vor, dass er irgendwo Fleisch kaufen will.
Bei der nächsten Jurte steigt er aus und wechselt kurz ein paar Worte mit dem Bauern. Der holt sein Motorrad und einen langen Stock mit einer Schlaufe vorne dran. Der Mongole nimmt die „Angel“, steigt hinten auf und beide fahren davon. Man selbst bleibt zurück, blickt ihnen nach und hat so eine Ahnung, dass es sich beim Fleisch um Frischware handeln wird. Nach etwa einer halben Stunde kommen sie wieder, der Mongole hält tatsächlich ein lebendiges Schaf auf dem Schoß „Mäh“. Sie steigen ab und wollen das Schaf transportfertig schnüren.
Da gibt es plötzlich ein Problem. Der Mongole betrachtet die Zähne des Schafs und schüttelt den Kopf: „zwei Jahre alt, zu jung zum essen“ Die Mongolen essen nämlich aus prinzipiell keine Jungtiere, weil sie glauben, dass alle Lebewesen das Recht auf ein schönes Leben haben. Diese Idee kommt aus dem Buddhismus. Wenn die Leute hören, dass wir in Europa Jungtiere schlachten, verziehen sie angewidert das Gesicht.
Das Schaf hat also Glück gehabt. Es bleibt bei der Jurte zurück. Der Bauer springt auf sein Pferd und reitet zur Herde. Man sieht aus der Ferne, wie die Schafe auseinander sprengen. Nach einiger Zeit wird das nächste Schaf auf dem Motorrad angeliefert. Diesmal passt es. Die Beine werden zusammengeschnürt und es verschwindet im Heck des Minivans.
Auf der Rückfahrt kann einem das Tier nur Leid tun, vier Stunden über die mongolischen Buckelpisten. Er wird bereits dunkel. Als wir endlich zu Hause ankommen, ist es stockfinstere Nacht. Die Ehefrau weiß Bescheid, allerdings hatte sie sich auch ein totes Schaf vorgestellt. Heute ist Montag, dienstags darf nicht geschlachtet werden. Es muss also heute noch passieren.
Schnell werden ein paar Plastiktüten ausgebreitet und das Schaf rücklings darauf gelegt. Ich stehe daneben und leuchte das Geschehen mit der Stirnlampe aus. Dabei frage ich mich, wie er vor hat das Schaf zu töten. Er hat nur ein Schweizer Taschenmesser in der Hand. „Festhalten“, sagt er und deutet auf die Hinterbeine. Ich hocke da, die Schafsbeine in den Händen und sehe ihm zu. Da verschlägt es mir den Atem. Ich bin vom Land, aber so etwas habe ich noch nie gesehen:
Er macht mit dem Taschenmesser einen kleinen Schnitt unterhalb des Brustbeins. Dann steckt er den Arm bis zum Ellenbogen in den Brustkorb des Schafs. Dort tastet er herum, bis er findet was er sucht. Seine Muskeln spannen sich an, als er zudrückt. Das Schaf bleibt dabei stumm. Dann fängt es an zu zucken. Das war’s.
Es ging überraschend schnell. Der Mann weiß anscheinend was er tut. Was er genau im Brustkorb des Schafs gemacht hat, ob er die Aorta abgedrückt hat oder das ganze Herz, kann ich nicht sagen. Dafür hat die Übersetzung nicht gereicht.
Es geht genauso schnell weiter. Das Schaf wird aus dem Pelz geschlagen, bleibt aber beim Ausnehmen darauf liegen. So kommt kein Schmutz an das Fleisch. Die Organe werden herausgenommen und wandern in verschiedene Schüsseln, nichts wird weggeworfen. Sogar das Blut wird mit einem Becher heraus geschöpft und in einer Kanne gesammelt. Ich darf assistieren und soll mal hier festhalten, mal dort gegendrücken. Am Ende teilen wir das Tier in zwei Stücke und hängen sie in der Abstellkammer auf. Kühlraum gibt es hier keinen.
Drinnen verarbeiten die Frauen die Innereien. Sie waschen die Därme aus, um am nächsten Tag Blutwurst zu machen. Die gibt es zusammen mit den anderen Innereien zum Frühstück. In den letzten Wochen habe ich viel gegessen, was ich nicht im Restaurant bestellt hätte, aber beim Kesselfleisch hört’s auf. Schon bei dem Gedanken bekomme ich einen Brechreiz. Die Kinder hingegen sind begeistert und machen sich über den Pansen her.
Nach dem Essen wird auf dem Hausaltar eine Kerze für das Schaf angezündet.
Leave A Comment