Wir stehen im Supermarkt vor dem Wodka-Regal. „Brauchen wir wirklich die große Flasche?“ frage ich, „tut’s die Mittlere nicht auch?“ Kishig und Muchan schauen mich mit großen Augen an und schütteln synchron die Köpfe. „It’s for the horsemen“,  sagt Kishig. „Yes, many horsemen“, fügt Muchan hinzu. Na gut, ich kaufe die große Flasche und wir machen uns auf den Weg.

 

 

Weil aus meinen Trekking-Plänen nichts geworden ist, hat mein lieber Freund und Tourguide Kishig vorgeschlagen, eine Reportage über das Heumachen in der Khentii-Provinz zu machen. „Die benutzen immer noch Pferde“, hat er gesagt und angeboten mit mir dorthin zu fahren. Mir war an dem Punkt alles recht, Hauptsache raus aus dem staubigen Ulan Bator. Nach etwa vier Stunden Fahrt, holen wir einen alten Studienfreund von ihm ab. Muchan hat eine Autowerkstatt und lebt mit seiner Frau und den Kindern in einer kleinen Stadt nord-östlich von UB. Er kennt die Leute auf dem Land und telefoniert erst eine Weile herum. Die Arbeit mit den Pferden ist selten geworden, die meisten Bauern benutzen Maschinen. Aber er findet jemanden und wir springen alle drei in Kishigs Minivan und düsen los. Natürlich nicht ohne vorher einen Stop im Supermarkt zu machen und „Gastgeschenke“ einzukaufen.

Die Bauern in der Mongolei leben in Jurten, ohne Straße, Hausnummer oder sonstige Adressangaben. Also müssen wir uns von Jurte zu Jurte durchfragen. Zum Beispiel zeigt eine Ziegenhirtin zu Pferd Muchan den Weg zur nächsten Familie. Als wir die Rinderzüchter dort fragen wird Kishigs Auto von einer Kuhherde überfallen. Am Ende finden wir die Heu-Crew doch noch, aber es ist schon dunkel. Nach dem Abendessen, das aus heißem Joghurt mit Reis und Rosinen besteht, überreiche ich die Flasche Wodka. Sie wird dankend angenommen. Nicht genug Becher da? Kein Problem. Mit einem Messer lassen sich aus einer Plastikflasche mindestens zwei EinsA-Trinkbecher basteln.

Die lustige Runde, die um’s Feuer sitzt besteht genau aus vier „Horsemen“: Kishig, Muchan, ich und Boro, einer der Viehzüchter. Gut, dass wir die große Flasche gekauft haben.

Reisetipp: Wenn man als Frau alleine unterwegs ist, sollte man sich lieber nicht betrinken. Außerdem sollte man die Gesellschaft betrunkener Männer meiden. Vor allem, wenn man mitten im Nirgendwo, kilometerweit von der nächsten Stadt entfernt, in der mongolischen Steppe sitzt.

Ich habe auch tatsächlich die ersten paar Runden durchgewunken. Aber, wenn man nur rumsitzt und vom Gespräch sowieso nichts versteht, dann wird einem ein bisschen langweilig. Ich frage ein paar mal nach, worüber sie sich unterhalten. Die Antwort, jedes Mal: „Rennpferde“.

Die nächsten paar Runden kommen nicht an mir vorbei, immerhin habe ICH den Wodka gekauft. Das Einschenken geht ruck-zuck und es herrscht ein ziemlicher Nachladedruck. Als der Wodka leer ist, geht es mit Bier aus der zwei-Liter-Plastikflasche weiter. Irgendwann rührt sich überraschenderweise die Stimme der Vernunft: „Geh, solange du noch kannst!“ Ich sage „Gute Nacht“ und verkrieche mich in meinem Zelt.

Damit ist der Abend aber noch nicht zu Ende. Als ich schon fast eingeschlafen bin, höre ich sie draußen meinen Namen rufen. Zunächst ignoriere ich es und hoffe, dass sie aufgeben. Das machen Mongolen aber selten, auch nicht heute. Also mache ich den Reißverschluss der Zelttür auf und gucke raus. Da sitzen Muchan und Boro vor meinem Zelt und halten mir eine Schüssel mit einer klaren Flüssigkeit unter die Nase. „Homebrew“, erklärt Muchan. Obwohl das Zeug aus meiner Nalgene-Flasche kommt, ist es kein Wasser. Haben die beiden doch tatsächlich Schnaps in meine Trinkflasche gepanscht! Kishig ist anscheinend schon schlafen gegangen.

Ich tue so als ob ich trinke, gebe die Schüssel zurück und will wieder ins Zelt. Boro will hinterher. „Stop, stop, stop!“ protestiere ich und schiebe ihn hinaus. Dann versuche ich es mit Vernunft, zeige auf die beiden und sage entschlossen: „Muchan wife, Boro wife!“ Muchan übersetzt, Boro entgegnet ihm etwas auf Mongolisch. Muchan erklärt mir: „Muchan wife, Boro no wife!“ Ja scheiße, damit is aus meinem Argument wohl die Luft raus. Boro startet einen neuen Versuch in mein Zelt zu kommen.

In dem Moment sagt Muchan „Gute Nacht“ und geht weg. „Spinnst du, du kannst mich doch jetzt nicht alleine lassen!“ rufe ich ihm hinterher. Keine Reaktion.

Boro versteht anscheinend weder „Nein“ noch „Stop“, also versuche ich es mit einem Ausdruck, den die Mongolen für böse Hunde und Pferde verwenden: „Huusch!!!“ Das amüsiert ihn, aber aufgeben tut er nicht. Mit viel Schimpfen und Auf-die-Finger-klopfen werde ich ihn doch los. Es wäre wahrscheinlich schneller gegangen, wenn ich einfach mit ihm geschlafen hätte.

Am nächsten Morgen sieht es so aus, als schäme er sich ein bisschen. Er redet nicht viel mit mir. Und ich denke mir: „So schlecht sieht der gar nicht aus.“

Trotz des Schädels wird es ein lustiger Tag für uns alle. Wir arbeiten ein wenig und Muchan kocht ein großes Katerfrühstück. Kishig hilft beim Heugabeln. Die Bauern sind nett und lassen mich auch mal das „Heupferd“ lenken. Ich bekomme meine Fotos und sogar ein Interview mit dem Ältesten. Übersetzt von Kishig höchstpersönlich. Das würde später noch einige Nacharbeit erfordern. O-Ton Kishig: „Nein, DEIN Englisch ist schlecht, weil ich es nicht verstehe!“

Vor der Abfahrt schüttle ich allen die Hände, natürlich auch Boro. „Nix für ungut, vielleicht schau ich mal wieder vorbei.“