Die beiden Kirgisen sind vom Dorf aus in die Canyons geritten. Dort, am Fuß der Berge beginnen sie mit ihrer Suche. Der Vater Anvarbek zieht oben auf den Hügeln entlang, sein 14-jähriger Sohn Asamat reitet unten die Täler ab. So patrouillieren sie einen Canyon nach dem anderen. Es ist ein Jagdausflug: Der junge Asamat ist der Treiber, er soll einen Fuchs aus seinem Erdbau aufschrecken. Der Vater hält Ausschau, er würde den rennenden Fuchs erlegen. Allerdings hat er kein Gewehr bei sich, sondern einen fünf Kilo schweren Steinadler.
Anvarbek ist einer von 27 Adlermännern in der Issyk-Kul Region. Er arbeitet mit den Greifvögeln schon sein ganzes Leben und hat die Tradition von seinen Vorfahren gelernt. Im Dorf hat er einen kleinen Bauernhof, Milchvieh und Schafe sind sein Haupteinkommen. Dort lebt er in einem bescheidenen Haus mit seiner Frau und seinen drei Kindern. Die Jagd mit dem Adler betreibt er als Hobby. Dass er damit recht erfolgreich ist, bezeugen die vielen Fuchsfelle, die neben der Scheune aufgehängt sind.
Früher, vor dem Zeitalter der Schusswaffen hielten sich viele Hirten die mächtigen Steinadler, um ihr Vieh vor Räubern wie Füchsen und Wölfen zu beschützen. Die Tradition der Adlerjagd gibt es neben Kirgistan noch in der Mongolei, Kasachstan und China. Das kirgisische Salburun ist vor Kurzem zum offiziellen Nationalsport geworden, die Falknerföderation hat sich dafür eingesetzt. Salburun besteht aus drei Disziplinen, es ist die Jagd mit Steinadler, Hunden und Pfeil und Bogen. Alle drei zusammen gibt es nur bei Festivals zu sehen.
Neben Asamat läuft ein großer, schlanker Hund, der aufmerksam das Gelände mal mit den Augen und mal mit der Nase inspiziert. Der kirgisische Taigan ist eine Windhunderasse, die speziell zur Wolfsjagd gezüchtet wurde. Großer Mut, Zähigkeit und Ausdauer werden ihm nachgesagt. Der Legende zufolge schlüpfte der erste Taigan aus einem Adlerei, weshalb die Steinadler und die Hunde sozusagen seelenverwandt sind.
Drei Stunden suchen Anvarbek und Asamat heute bereits nach einem Fuchs, erfolglos. Anvarbeks Arm, auf dem der Adler sitzt ruht auf einer Stütze, anders könnte er das Gewicht nicht so lange halten. Vater und Sohn haben schon beschlossen umzukehren und nach Hause zu reiten, da taucht hinter einem Hügel ein alter Mann auf einem Esel auf. Asamat und Anvarbek treiben ihre Pferde an und reiten zu ihm hinüber. Anvarbeks Adler passt sich dem Wippen des galoppierenden Pferdes an und streckt nur manchmal die Flügel aus zum Stabilisieren.
Die Männer unterhalten sich kurz. „Ach, ihr sucht einen Fuchs? Da drüben habe ich einen gesehen“, sagt der Alte und zeigt mit dem Finger hinüber zu einer anderen Schlucht. Vater und Sohn sehen sich kurz an, eine neue Aussicht auf Erfolg und schon denkt niemand mehr daran umzukehren. Der Weg hinüber zu den anderen Hügeln ist beschwerlich, er führt durch einen Fluss und meterhohes verwachsenes Gras. Für Anvarbek mit dem Adler auf dem Arm ist auch das kein Hindernis. Hier zeigt sich die Erfahrung. Die Ruhe des Jägers überträgt sich auf das Tier, das mit verbundenen Augen seinem Herrn vertrauen muss. Viele der jüngeren Falkner sieht man oft in Schwierigkeiten geraten, weil der Adler auch mit aufgesetzter Haube unruhig herumflattert. Ein großer Steinadler ist eben schwieriger zu kontrollieren als ein kleiner Falke, schnell hat man die mächtigen Schwingen im Gesicht und hinter den Ohren.
Bei den neuen Canyons angekommen, macht sich Asamat zusammen mit dem Hund auf den Weg zum Talboden, um wieder mit der Suchroutine zu beginnen. Bis dahin schafft er es aber nicht, denn der Fuchs kommt ihm zuvor. Es scheint, als ob Vater Anvarbek vom Fuchs weiß noch bevor er ihn sieht. Die Hand zieht schon die Kappe vom Kopf des Adlers, da taucht erst der Fuchs einige Hundert Meter entfernt als weiß-roter Punkt hinter dem Hügel auf.
Schwungvoll streckt Anvarbek den Arm aus und der Adler fliegt. Man hört nur den dumpfen Luftzug der großen Schwingen, als er abhebt. Nun wird es laut. Beide, Vater und Sohn, feuern den Adler an und stoßen kurze hohe Schreie aus, ähnlich denen eines Adlers. Der Hund rennt zur Verstärkung ebenfalls dem Fuchs hinterher. Der Steinadler ist schneller und stürzt hinab zum Fuchs. Aus der Ferne kann man nur ahnen was passiert, denn die Jäger sehen das Spektakel als bewegte Punkte am Horizont: erst rot und braun, Fuchs und Adler, dann nur noch braun, nur noch Adler. Welcher glückliche Zufall den Fuchs heute gerettet hat, werden die Jäger nicht erfahren. Vielleicht ein günstiges Versteck, vielleicht ein fester Biss in die Adlerbrust, feststeht: Der Fuchs ist weg.
Beide, Hund und Adler, sitzen erst einmal auf dem Boden und verschnaufen von der Verfolgungsjagd. Nun hört der Adler, der eigentlich eine Adlerin ist (normalerweise werden nur die weiblichen, größeren Vögel zur Beizjagd gehalten), die Rufe eines wilden Steinadlers. Der Greifvogel kreist genau über ihrem Sitzplatz und scheint sie begrüßen zu wollen. Erneut erhebt sich die Adlerin in die Lüfte und zieht mit dem wilden Artgenossen einige Kreise. Von Weitem sieht man, dass der Wilde ein Greis ist, die Federn an seinem Kopf sind bereits weiß geworden. Steinadler können um die 30 Jahre alt werden. Nach zehn bis fünfzehn Jahren treuen Dienstes lassen die meisten Jäger ihre Vögel frei, damit sie sich fortpflanzen können.
Noch möchte Anvarbek seine wertvolle Adlerin nicht hergeben. Die Salburun-Jäger haben eine besondere Verbindung mit ihren Vögeln. Sie streichen ihnen liebevoll über das Gefieder und ein mancher spricht im Spaß sogar ab und zu von seiner „Geliebten“. Der erfahrene Jäger Anvarbek ist auch auf diese Situation vorbereitet und zieht eine tote Taube aus seiner Satteltasche. Er streckt den Arm aus und lockt, die Adlerin ignoriert ihn. Er gibt aber noch nicht auf und wühlt erneut in der Satteltasche. Zum Vorschein kommt ein Fuchspelz an einer Schnur, den er normalerweise zum Training nutzt. Kaum wirft er den Pelz auf den Boden, schon kommt der Vogel mit ausgestreckten Klauen herabgestürzt. Sie landet auf dem Pelz, stellt die Nackenfedern auf und beginnt sofort, Haarbüschel auszurupfen. Damit ist sie so beschäftigt, dass sie gar nicht merkt, als Anvarbek ihr von hinten die Kappe über die Augen stülpt.
Auch Asamat und der treue Taigan sind zurückgekehrt. Damit ist die Jagdgesellschaft wieder komplett, aber die Jagd ist vorbei. Es wird bald dunkel und alle treten den Heimweg an. Kaum sind sie zuhause angekommen, trifft ein anderer Jäger ein. Auf einem Arm hält er den Adler, mit der anderen Hand hebt er stolz ein Füchslein hoch. Anvarbek inspiziert den Fuchs und spricht einige Worte der Anerkennung aus. Von Neid keine Spur, weiß er doch, dass er schon oft erfolgreich war und es auch sicher in Zukunft wieder sein wird.
Mit dem toten Fuchs absolvieren Anvarbek und Asamat ein Training für die Adlerin. Der Sohn Asamat zieht den toten Fuchs wie eine Schleppe hinter dem Pferd her und die Adlerdame stürzt sich darauf. Zuguterletzt bekommt sie doch noch ein paar Brocken Fuchsfleisch zu schmecken.
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