Ein bisschen sieht die MS Isabelle schon aus wie die MS Deutschland, das Traumschiff aus der ZDF-Serie: die Maße stimmen inetwa überein, beide haben eine luxuriöse Ausstattung mit Bars, Restaurants und Wellnessbereich, nur, dass die MS Deutschland auf hoher See kreuzgefahren ist, während die MS Isabelle unter lettischer Flagge gehorsam zwischen Riga und Stockholm hin und her tigert. „Minikreuzfahrt“ nennt sich das und dauert nur etwa 17 Stunden über Nacht. Auch dieser kurzen Zeit erlebt man viel.
Das Traumschiff beginnt ja immer damit, dass die Passagiere boarden. Wäre unsere Reise eine Fernsehserie, dann wäre das so: Zwei erschöpfte Backpackerinnen stehen mitten in einer russischsprachigen Reisegruppe am Rigaer Check-in-Schalter. Weder Reisegruppen-Mitglieder noch Backpackerinnen haben verstanden, dass man am Automaten hinter der Eingangstüre Nummern ziehen muss und werden von den Check-in-Damen permanent darauf hingewiesen, müssen zurück gehen, Nummern ziehen und wieder warten. Die Angelgenheit dauert etwas länger, aber letzten Endes schaffen es alle auf das Schiff.
Unsere beiden Backpackerinnen werden von der Hostess zu ihren Kabinen gewiesen. Sie können ihr Glück kaum fassen, als sie das DeLux-Zimmer mit Außenfenster beziehen. Der estnische Reiseveranstalter Tallink & Silja Line, der uns eingeladen hat, ist schon ein ausgezeichneter Gastgeber. Eine prall gefüllte Obstschale wartet, im Fernseher laufen die BBC News, eigentlich kein Grund mehr den Raum zu verlassen. Die MS Isabelle hat Platz für 2.480 Passagiere, in 2.166 Kabinen und 450 Autos. Bei so vielen Leuten tut sich einiges an Board und wir gehen trotz der komfortablen Unterbringung auf Erkundungstour.
Ganz nach Traumschiffmanier fehlt noch eine Liebesgeschichte, zum Beispiel die, wie ich drauf und dran war mich in das Sonnendeck am Heck des Schiffs zu verlieben. Das sollte eher Winddeck heißen, wird aber trotzdem zu meinem absoluten Lieblingsplatz. Bis der Barkeeper alle Romantik kaputt macht, indem er uns über die Bierpreise aufklärt: „Kostet 5 Euro. Nein, Gutscheine gelten hier nicht.“ Wir sind ein wenig verwöhnt von den lettischen Preisen, die vergleichbar sind mit denen, in einem fränkischen Landwirtshaus. In Schweden sollten wir noch unser blaues Wunder erleben. Einige der russischsprachigen Passagiere waren schlauer und haben die Bierdosen Kartonweise mit auf das Boot geschleppt. An Deck stehen sie in Napoleon-Haltung da, eine Hand hält die Dose unter der Jacke, die andere die Zigarette.
Der Bug-Bereich ist leider abgesperrt. Melli war sowieso nicht begeistert von meinen Vorschlag die berühmte Filmszene aus Titanic nachzustellen.
Also bin ich am Hinterteil der Isabelle im Geiste „der König der Welt!“. Ich betrachte eine Weile die See, ob sich mal eine Walflosse oder Krakenarme aus dem Wasser heben. Leider Fehlanzeige, das Baltische Meer ist eben nicht bekannt für seine marine Megafauna.
Meeresbewohner sehe ich dann immerhin auf dem Buffet, zum Beispiel in Reis eingewickelt als Sushi. Da gibt es so viele verschiedene Sachen, dass man gar nicht alles probieren kann: Lachsfilet, Steaks, Kartoffelgratin, Falaffel und sogar einen kleinen Stand mit dem Titel „Street Food“ mit Tortillas zum Selbermachen. Wem das nicht reicht, kann um die Ecke zur Tapas Bar gehen.
Während des Abendessens kann man auch nach Walflossen Ausschau halten, durch die vielen Panorama-Fenster rings um das Restaurant. Meistens sieht man nur andere Schiffe vorbeituckern. Der Rigaer Meerbusen ist relativ ruhig, nachts erreichen wir die eigentliche See und alles fängt an, ein bisschen zu schaukeln. Später würde ich mit Händen ans Bett geklammert einschlafen, mit einer gehörigen Dosis Vomex intus. Das ist ein Medikament gegen Übelkeit, das ich in weiser Vorraussicht mitgenommen habe.
Soweit ist es noch nicht. Nach dem Abendessen machen wir einen Spaziergang über das Partydeck und die Shoppingmeile. Das Gespräch, als wir den Duty-free Shop betreten: Melli: „Ich sprüh jetzt mit Parfüm rum“ Ich: „Du findest mich bei den Legobausteinen.“ Die Schiffslotterie haben wir leider verpasst. Bis etwa 20.00 Uhr hätte man noch Lose kaufen können. Die Durchsage kam einige Male. Wir haben keine Ahnung, was man hätte gewinnen können. Beim Bingo waren es, glaube ich, 3000 Euro, aber das haben wir auch verpasst.
Stattdessen haben wir getan, was jeder vernünftige Mensch tun würde: Biertrinken. Auf der einen Seite des Pubs hängt ein riesiger Flachbildfernseher, der Fußball und Eishockeyspiele überträgt. Auf der anderen Seite singt ein tätovierter Troubadour mit Akkustikgitarre Rock-Klassiker wie „Knocking on Heavens Door“, „Sweet Home Alabama“ oder eben alles, was sich die Gäste wünschen. Der ebenfalls tätovierte Barkeeper hat gerade nicht viel zu tun und unterhält sich ein wenig mit uns. Zwei Wochen am Stück arbeitet er auf dem Schiff, dann hat er zwei Wochen frei. In seiner Freizeit fährt er Ski in den Alpen oder geht Surfen in Portugal. Cooler Typ.
Wäre ich Anfang 20, wäre ich länger aufgeblieben und hätte es später mal bei Musiker oder Barkeeper versucht. Vielleicht wäre sich ein schaukeliges One-Night-Stand in der Personalkabine ausgegangen. Aber der alte Wolf wird langsam grau, denkt sich „warum eigentlich?“ und schläft lieber. Erst später, zunächst ziehen wir weiter zur Skybar. Dort gibt es Band und Showprogramm. Erinnert ihr euch an die Handlung von „Dirty Dancing“? Bestimmt, aber trotzdem eine Auffrischung: Der Film spielt im Jahr 1963. Ein Mädchen namens „Baby“ verbringt die Sommerferien mit ihren Eltern in einem Ferienresort. Dort arbeitet eine Tanzgruppe, um die Gäste zu unterhalten, ihnen Gruppentanzunterricht zu geben und sie zu animieren, wenn trotz Gute-Laune-Musik der Band immer noch keiner tanzt. Ja, so ist das auf der Isabelle auch, obwohl keiner der Tänzer auch annährend so aussieht wie der junge Patrick Swayze, die Mädels sind dafür umso hübscher. Ich habe Bilder gemacht, Videos auch, aber die sind mir auf mysteriösem Weg in Riga abhanden gekommen. Die folgende Szene aus dem Film veranschaulicht das Dirty-Dancing-Erlebnis auf dem Schiff aber ganz gut.
Die Resortatmosphäre wird mir irgendwann zu viel. Ich gehe auf das windige Sonnendeck und lasse mir ein wenig die Haare um den Kopf wehen. Bei dem stürmischen Wetter ist niemand sonst da. Fast niemand, denn auf der anderen Seite der Reeling steht ein großer Mann in Uniform und schaut hinunter auf das Wasser mit dem Funkgerät in der Hand. „Curiosity kills the cat. – Knowing brings it back.“ Selbstverständlich gehe ich hin und frage, was er macht. Er beobachte den Seegang, sagt er. „Bekommen wir schlechtes Wetter heute?“ -„Nein, wird nicht so schlimm.“ Die Wellen würden heute nur wenige Meter hoch schlagen, die schlimmsten die er je gesehen habe, seien sechs Meter hoch gewesen. Der Typ ist groß und hat eine schrankartige Statur, attraktiv auf seine Art. Ich denke zunächst, er gehört zur Security. Auf seinem Namensschildchen lese ich, dass er der Schiffsarzt ist – „so wie auf dem Traumschiff, nur jünger“, denke ich. Jetzt würde sich ein Flirt anbieten, aber keinem von uns fällt ein sinnvolles Gesprächsthema ein. Wir stottern ein wenig herum, geben auf und verabschieden uns.
Hätte ich den Arzt eine Stunde später getroffen, hätten wir ein tolles Gesprächsthema gehabt: meinen Magen. Auch bei drei Meter hohen Wellen schaukelt das große Schiff spürbar, mir wird flau. Eigentlich finde ich so ein bisschen Seegang ganz lustig. Ich wünsche mir schon lange, dass ich irgendwann mal einen richtigen Sturm erlebe. Dann ist es wie ein Fahrgeschäft im Vergnügungspark, wie zum Beispiel auf diesem Kreuzfahrtschiff vor Neuseeland:
Dazu kommt es nicht, dafür ist die Ostsee nicht wild genug. Die Show geht weiter, auch um Mitternacht tanzen die Entertainer. Später zieht die Partycrowd weiter in den Club Heaven mit Electro-DJ. Wir nicht, wir gehen ins Bett.
Die Partycrowd verschläft am nächsten Morgen sicherlich die schöne Aussicht, als sich die Isabelle vorsichtig zwischen den idyllischen Schären-Inseln durchschiebt. Wir dagegen sind fit und ausgeruht für unsere City-Safari in Stockholm.
Hier ist mein Reisetipp: Wenn ich wieder 20 wäre und diese Reise machen würde, würde ich nach Stockholm fliegen, am Frihammen-Hafen an Bord der Isabelle gehen, mich über die vergleichsweise niedrigen Bierpreise von 5 Euro freuen, denn in Schweden kostet es 8 Euro. An einem Donnerstag oder Freitag Abend würde ich nach Riga fahren und mir ein tolles, billiges Feierwochenende in Riga machen (es sei denn, man mag es ruhiger, dann besser unter der Woche). Am Sonntag würde ich wieder zurück nach Stockholm fahren und so noch eine zusätzliche Partynacht dran hängen. In Schweden kuriert man den Kater dann mit billigerem Wasser aus.
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