Wolfsartige Hunde sind in Mode, aber selten für das Leben beim Menschen geeignet. Mit der Hunderasse Tamaskan wollen Züchter nun eine Alternative schaffen.

Von Weitem sehen sie ähnlich aus. Beide sind groß und athletisch, haben ein dichtes Fell, eine gerade Rute und bernsteinfarbene Augen. In ihren Gesichtern zeichnet sich die charakteristische Wolfsmaske ab. Sie laufen munter durch den Garten, schnuppern, schauen, lauschen. In den Wolfspelzen stecken Hunde, allerdings zwei sehr unterschiedliche. „Der Bräunliche ist unser Tschechoslowakischer Wolfhund (TWH), der Graue ist der Tamaskan“, sagt die Hundezüchterin Gabi Hatrath. Sie erklärt: „Wolfhunde sind durch Kreuzung von Haushunden mit Wölfen entstanden. Der TWH ist eine offiziell anerkannte Hunderasse, der Tamaskan ist nicht anerkannt.“

Das Rudel der Hatraths. Links: Tamaskan-Hündin und Rüde, rechts: Tschechoslowakischer Wolfhund (kastriert), Foto: Carola Deppler

Wie viele andere Menschen begeistere ich mich für Wolfhunde, vielleicht, weil ihr ursprüngliches Aussehen das Gefühl vermittelt, der Wildnis ganz nahe zu sein. Experten allerdings raten von der Anschaffung ab. Wolfhunde können extrem misstrauisch und schreckhaft sein. Sie sind schwierig zu erziehen und die Besitzer kommen mit den Tieren oft nicht zurecht. Auch die Hatraths hatten es schwer mit ihrem TWH. Nur mit viel Durchsetzungsvermögen und 15-jähriger Erfahrung in der Zucht und Ausbildung von Hütehunden haben sie es geschafft, sich mit ihm zu arrangieren. „Wir lieben unseren TWH, aber einen Zweiten wollten wir nicht. Er hat uns zu viele Nerven gekostet“, bestätigt Gabi.

Durch einen Artikel in einer Hundezeitschrift sind die Hatraths auf den Tamaskan gekommen, eine andere wolfsartige Hunderasse, von der es heißt, sie besitze die positiven Eigenschaften des Haushundes. „Tamaskane lassen sich einfacher führen“, sagt Gabi, die zusammen mit ihrem Mann Peter seit fünf Jahren Tamaskane hält, als Rudel aus vier Hunden, denn „sie sind nicht für die Einzelhaltung geeignet. Nur wenn man den Tamaskan ausreichend beschäftigt, hat man Freude an ihm. Sonst beschäftigt er sich selbst und das kann unangenehm und teuer werden. Eine neu dekorierte Wohnung ist nicht immer nach dem Geschmack ihrer Bewohner“, sagt Gabi mit einem Augenzwinkern.

Der Wolf auf meinem Schoß

„Das Wort Tamaskan stammt aus der Sprache der nordamerikanischen Ureinwohner und bedeutet zwar mächtiger Wolf, aber gezüchtet wurde aus verschiedenen Schlittenhunden, Siberian Husky, Alaskan Malamute, Utonagan und einem geringen Anteil Schäferhund“, erklärt Peter. Er ist zweiter Vorsitzender des Züchterclubs Tamaskan Germany. Er fügt hinzu, dass man in der Vergangenheit auch Wolfhund eingekreuzt habe, um die Blutlinie zu erweitern. Dabei betont er: „Bei Tamaskan-Germany sind wir uns einig, dass ein hoher Wolfsanteil unserem Rassestandard widerspricht. Unser Ziel ist es, einen freundlichen  Familienhund zu schaffen, der lediglich so aussieht wie ein Wolf.“

Meiner Meinung nach wäre das großartig, denn so könnte der Mensch beides haben: ein Stück Wildnis und einen treuen Freund – eine schöne Vorstellung. Ich überlege selbst, mir einen Tamaskan zu zulegen. Da die Rasse noch relativ unbekannt ist und ich kein Experte bin, ist Hundetrainerin Ruth Schönheiter als Beraterin mitgekommen. Zusammen wollen wir herausfinden, was sich hinter dem Tamaskan verbirgt. Ruth wurde ausgebildet von Martin Rütter, dem bekannten Hundeprofi aus dem Fernsehen. Bei seiner Methode geht es unter anderem darum, das Verhalten und die Kommunikation von Hunden zu verstehen, um sie richtig einzuschätzen.

Als Gabi die Terrassentüre öffnet, bin ich in erster Linie neugierig, aber eine gesunde Portion Respekt kann ich nicht leugnen. Die Hatraths haben uns gebeten, auf der Couch Platz zu nehmen, damit uns die Hunde in ihrem Territorium nicht als Bedrohung wahrnehmen.

Mit federnden Schritten traben die beiden Rüden herein. Ohren aufgestellt und Ruten hoch erhoben – offensichtlich sind sie interessiert an uns. Der Wolfhund kommt geradewegs auf uns zu, schnüffelt kurz, aber intensiv und ist genauso schnell wieder weg. Währenddessen bleibe ich still sitzen und vermeide es, ihm in die Augen zu schauen. Ich möchte ihn nicht provozieren, denn seine Bewegungen verraten Anspannung. Im Gegensatz dazu strahlt der Tamaskan eine angenehme Stimmung aus. Den Ausdruck „mächtiger Wolf“ finde ich in seinem Fall passend, denn mit einem Gewicht von 43 Kilogramm und einem Stockmaß von 75 Zentimetern ist dieser Hund ein ziemlicher Hüne. Kaum ist er an der Couch angelangt, legt er die Pfote auf meinen Oberschenkel. Er wird doch nicht hier hochkommen?! Genau das macht er. Als wäre es eine Selbstverständlichkeit klettert der Tamaskan auf meinen Schoß und beginnt mein Gesicht abzuschlecken. Ich bin fast vollständig unter zottigem Wolfspelz begraben und kann nichts anderes tun als lachen. Mit einer so stürmischen Begrüßung hätte ich nicht gerechnet.

Hundetrainerin Ruth, die neben mir auf der Couch sitzt, beobachtet das makabre Szenario und kann sich ebenfalls das Schmunzeln nicht verkneifen. Sie kommentiert: „Das war zwar respektlos von ihm, aber er hat ein freundliches Wesen. Genauso wie viele Labradore oder Retriever ist dieser Tamaskan sehr körperlich und hat dem Menschen gegenüber wenig Distanzempfinden. Es ist war schön, wenn der Hund Fremden gegenüber aufgeschlossen ist, aber für den Halter bedeutet das: konsequentes Training. Der Hund soll ja nicht jeden Gast so stürmisch begrüßen.“

Arbeitswille und konsequentes Training

Die Hatraths sagen: „Wir waren vom ersten Tag an tamifiziert, also vom Tamaskan infiziert, und dieses Fieber hat uns seither nicht mehr losgelassen.“ Damit stehen sie nicht alleine da. Zwar gibt es in Deutschland derzeit nur etwa 80 Hunde, aber Züchter und Halter engagieren sich enorm. Es gibt verschiedene Websites, eine Facebook-Gruppe und regelmäßige Tamaskan-Treffen. Peter Hatrath erzählt: „Auf Hundeausstellungen fragt man uns oft, ob der Tamaskan eine Art Husky sei, wegen der ähnlichen Fellzeichnung. Deswegen tragen wir jetzt T-Shirts mit dem Aufdruck: „Nein, das ist kein Husky.“ Zwar sei der Tamaskan genauso wie Huskys freundlich gegenüber fremden Menschen, Kindern und anderen Tieren, allerdings gäbe es gravierende Unterschiede. Peter erklärt: „Tamaskane laufen zwar sehr gerne, aber sie sind auch mal mit einem Tag auf dem Sofa zufrieden. Sie wollen einfach überall dabei sein. Sie sind weniger eigenständig als ein Husky und daher folgsamer und leichter zu trainieren.“

Davon könne ich mich gern persönlich überzeugen, sagen die Hatraths und vermitteln mir den Kontakt zu einer Halterin, die vor acht Monaten einen ihrer Welpen erworben hat. Also besuche ich einen Hund namens Tami, der gerade eine Rettungshundeausbildung absolviert. Halterin Carola Deppler steht der Stolz ins Gesicht geschrieben, als sie sagt: „Tami ist der Streber in seiner Gruppe, er hat bisher die schnellsten Fortschritte gemacht.“ Carola bildet ihn zum Mantrailer aus, einem Spürhund für vermisste Personen. Zum Üben legt jemand eine Spur durch einen Geruchsartikel, in diesem Fall getragene Socken. Die Nase dicht am Boden läuft Tami konzentriert erst durch die Wiese, dann am Wald entlang. Er ist ganz bei der Arbeit und lässt sich durch nichts ablenken. Als er die übungshalber vermisste Person aufspürt, begrüßt er sie mit freudig wedelnder Rute. Carola lobt ihn ausgiebig.

Tami ist ein „Streber“ auf dem Trainingsgelände. Aufmerksamkeitsübung unter Ablenkung, Foto: Adriane Lochner

Spurensuche bei der Ausbildung zum Mantrailer, Foto: Lochner

Die Studentin beschäftigt ihre beiden Hunde gern und viel. Neben dem Jungspund Tami hat sie noch eine ältere Mischlingshündin, die sie bereits ausgebildet hat, als Rettungshund und als Begleithund. „Um die muss ich mir keine Sorgen machen, die läuft im Moment so nebenher“, sagt Carola später beim Waldspaziergang. Das sei auch gut so, denn Tami mache gerade seine Flegelzeit durch. Als der junge Tamaskan an der Leine zieht, maßregelt sie ihn und sagt: „Das hat schon mal besser geklappt.“ Tamaskane sind wie andere Wolfhunde Spätentwickler und erst mit etwa drei Jahren körperlich und geistig reif, also etwa ein Jahr später als die meisten Hunde großer Rassen.

Hundetrainerin Ruth sagt: „Pubertätsphasen sind normal, da kann es Rückschritte im Training geben und die Hunde testen ihre Grenzen aus.   Allerdings glaube ich, dass Tamaskane, ähnlich wie Huskys durchaus den Sinn hinter den Übungen sehen wollen, im Gegensatz zum typischen will to please eines Retrievers, der nach einer Stunde den Ball immer noch begeistert apportiert. Was die Erziehung betrifft, ist der Tamaskan sicher kein Anfängerhund. Der Halter muss hier besonders konsequent sein, klare Strukturen bieten und Grenzen setzen. Menschliche Schwächen wird dieser Hund für sich verbuchen und die Führung übernehmen.“

Tami auf Mäusejagd. Der Jagdtrieb ist bei den Tamaskanen unterschiedlich ausgebildet. Züchterin Gabi sagt: „Daran arbeiten wir noch.“, Foto: Lochner

Auf der Wiese lässt Carola ihre Hunde von der Leine. Tami macht sich gleich auf Mäusejagd und hüpft wie ein afrikanischer Springbock über die Wiese. Ob sich Carola wegen des Jagdtriebs sorgen mache, frage ich, denn die nordischen Vorfahren des Tamaskans sind bekannt dafür, dass sie gerne Wild hetzen und plötzlich für längere Zeit im Wald verschwinden. „Am Rückrufkommando musste ich mit Tami natürlich arbeiten. Ich bin ihn jedes Mal holen gegangen, wenn er mich ignoriert hat. Jetzt bewegt er sich immer in einem gewissen Radius in meiner Nähe. Wenn ich Wild sehe, nehme ich ihn aber an die Leine.“ Dazu sagt Züchterin Gabi: „Beim Tamaskan kommt es stark auf die Verpaarungen an. Bei manchen ist der Jagdtrieb noch stärker ausgeprägt als bei anderen. Daran arbeiten wir noch.“

Zucht in den Kinderschuhen

Die Hatraths haben gerade einen Wurf sieben Wochen alter Welpen im Haus – ihr ganzer Stolz und auch der Grund, warum die beiden so müde aussehen. „Die Kleinen halten uns ganz schön auf Trab“, sagt Gabi und wie zur Bestätigung toben die Welpen in diesem Moment durchs Wohnzimmer. Gabi und Peter sind beide berufstätig. Sie legen ihre Arbeitszeiten so, dass immer jemand zu Hause ist, zum Füttern, Spielen, Putzen und zum Beschützen der Stuhlbeine vor Knabberattacken.

oben: Welpen aus einer Outcross-Verpaarung. Züchterin Gabi sagt: „Eine gewisse Variation ist normal.“, Fotos: Lochner

Genau wie zuvor der Rüde, sind die kleinen Tamaskane nicht schüchtern und wollen gleich zu uns auf die Couch klettern. „Die sind ja niedlich!“ ist natürlich mein erster Gedanke. Dann fällt mir etwas auf, das mich stutzen lässt: Sie sind alle unterschiedlich. Manche sind dunkel, einer sieht aus wie ein Miniatur-Husky, ein paar sind cremefarben und einer hat Schlappohren. „Ist das normal?“, will ich wissen. Gabi sagt: „Es gibt auch in Wolfsrudeln eine farbliche Variation. Beim Tamaskan unterscheiden wir deshalb die Farbtypen silbergrau, grau, schwarz-grau und rot-grau.  Die endgültige Färbung stellt sich erst mit dem Wechsel des Welpenfells ein. Übrigens, die Schlappohren stellen sich später noch auf.“

Der Vater der Welpen ist ein Sibirischer Husky. Die Züchter achten bei Outcross-Verpaarungen auf die Gesundheit der Tiere, wolfartiges Aussehen und ein ruhiges Gemüt. Foto: Lochner

Gabi erklärt: „Der Genpool für den Tamaskan ist in Deutschland noch ziemlich klein. Es gibt derzeit zu wenige Zuchtlinien, um Tamaskan nur mit Tamaskan zu verpaaren. Uns ist ein gesunder Hund am wichtigsten. Deshalb bringen wir neues Blut ein durch Sibirien Husky, Utonagan oder Wolfhund mit sehr geringem Wolfsanteil. Durch diese sogenannten Outcross-Würfe ist das Aussehen noch nicht einheitlich, aber wir sind auf einem guten Weg.“

Die Zucht zum Tamaskan begann in den 1980er Jahren, 2006 wurde das internationale Tamaskan-Dog-Register in England gegründet. In Deutschland gibt es die Rasse erst seit etwa sieben Jahren. „2012 haben wir bei Tamaskan-Germany ein eigenes Zuchtbuch gegründet für den „Deutschen Tamaskan“. Der unterscheidet sich nicht wesentlich von dem anderer Länder. Nur die Regeln bezüglich Gesundheit und den Hunden, die für Outcross-Verpaarung genutzt werden, sind strenger“, erklärt Peter. Innerhalb von Tamaskan-Germany bekommen die Hunde Papiere. Untersuchungsergebnisse auf eventuelle Erbkrankheiten werden den neuen Besitzern im Original ausgehändigt. Jeder Zuchthund hat ein DNA- Profil. Das erhalten auch die Welpen um bei künftigen Zuchttieren eine Inzucht ausschließen.“

Udo Kopernik, Pressesprecher des VDH sagt: „Die Fédération Cynologique Internationale (FCI) verlangt unter anderem für die Anerkennung acht verschiedene Linien, die im Kern jeweils aus zwei Rüden und sechs Hündinnen bestehen und die untereinander bis in die dritte Generation nicht verwandt sind. Man geht davon aus, dass dann mindestens 1.000 Hunde registriert sind.“ Solange aber die Züchter keinen Antrag stellen, wird die Rasse nicht anerkannt.

D.O.G.S-Trainerin Ruth Schönheiter filmt die Welpen um ihr Verhalten besser zu analysieren., Foto: Lochner

Zum Charakter der Welpen sagt Ruth: „Sie zeigen durchgehend ein normales Verhalten, neugierig, nicht ängstlich. Ein bisschen ruppig sind sie allerdings schon.“ Dabei schaut sie den cremefarbenen Welpen an, der gerade auf meinem Schoß herumturnt. Die Hatraths nennen ihn liebevoll „Eisbär“. Er knabbert ein wenig an meinen Fingern. Ich finde das süß und lasse ihn gewähren. „Du bist doch kein Kauknochen!“, sagt Ruth im Spaß, aber mit ernstem Unterton. Ihrer Meinung nach sollte man sich generell nicht von einem Welpen auf der Hand herumkauen lassen. Das könne auch mit den kleinen Zähnen schon zu blutigen Verletzungen führen. „Wenn der Welpe beim Spielen auf die Hand beißt, dann sollte man ihm zeigen, dass Spiel und Spaß vorbei sind, die Hand wegnehmen und ihn links liegen lassen. Alternativ geht auch ein zarter Griff von oben über die Schnauze. Eine Beißhemmung muss erlernt werden, sie ist nicht angeboren.“

Tamaskan-Welpen beim Spielen. Hundetrainerin Ruth Schönheiter sagt: „Eine Beißhemmung muss erlernt werden.“, Foto: Lochner

Den Züchtern Gabi und Peter Hatrath ist es wichtig, dass ihre Schützlinge gut aufgehoben sind. Deshalb möchten sie die künftigen Halter ihrer Tamaskane im Vorfeld persönlich kennenlernen und auch nach der Übergabe wissen, wie es den Hunden geht. Wenn man sich für einen Tamaskan entscheidet, wird man Teil einer kleinen, stetig wachsenden Gemeinschaft, ob in der Facebook-Gruppe oder im geschlossenen Tamaskan-Club. „Alle Züchter nehmen ihre Welpen zurück, falls es dem Halter aus persönlichen Gründen nicht mehr möglich ist, sich ausreichend um ihn zu kümmern“, sagt Gabi.

Auch wenn die Zucht momentan noch in den Kinderschuhen steckt, begrüße ich das Ziel von Tamaskan-Germany, denn es scheint genau den Kompromiss zu bieten, nach dem viele Menschen suchen: ein treuer Freund und Begleiter mit dem ursprünglichen Aussehen eines Wolfs. Auch für mich wäre so ein Hund eine Option, allerdings erst wenn die Zucht weiter fortgeschritten ist und die Würfe einheitlicher sind. Die Hundetrainerin Ruth Schönheiter rät, die Anschaffung gut zu überdenken: „Beim Tamaskan wird es wichtiger sein als bei vielen anderen Hunden, Fehler in der Erziehung zu vermeiden. Man sollte das Mini-Rudel aus Mensch und Hund souverän führen können.“

Viele Menschen wünschen sich einen treuen Freund im Wolfspelz. Sie sollten das Mini-Rudel aus Mensch und Hund souverän führen können. Foto: Lochner

 

Weitere Infos: