Seit ich im Jahr 1999 zum ersten Mal geflogen bin, hat sich viel verändert. Fliegen ist nichts Besonderes mehr, reine Routine so wie Busfahren. Essen kann man zu Hause, Einchecken geht online, Stewards und Stewardessen lächeln nicht mehr so viel, Sicherheitseinweisungen interessieren niemanden mehr und, dass der Pilot den Flieger heil landet, ist ja wohl selbstverständlich. Klatschen ist peinlich. Dafür ist das Fliegen an sich billiger geworden, und zwar massiv. Und weil an allen Ecken und Enden gespart wird, auch an den Gehältern, ist es eigentlich keine Überraschung, dass man zusammen mit einem schön billigen Flugticket heutzutage auch einen Trip in die Hölle buchen kann.
Zimperlich bin ich nicht. Ich bin schon mit Todeskater über den Atlantik geflogen, mit Magen-Darm-Beschwerden nach Nepal und habe mich nie vor den kleinen Airlines gefürchtet. Ich war mit der ungarischen Wizz Air in Rumänien, mit Finnair am Polarkreis, mit Air Baltic in Riga und natürlich mit dem Billigklassiker Ryan Air in England. Die Strecke München-Bischkek via Istanbul bin ich schon öfters geflogen, vorzugsweise mit den durchaus manierlichen Turkish Airlines. Dieses Mal sollte es nur ein kurzer Trip werden, eine Woche, daher entschied ich mich für den günstigsten Anbieter, Pegasus Airlines. Die Hin- und Rückreise in die etwa 6000 Kilometer entfernte Hauptstadt Kirgisistans (etwa so weit wie nach New York) kostet nur 350 Euro. Pegasus bietet den Flug sogar noch billiger an für um die 100 Euro. Alles in allem also ein Superpreis, wenn es dabei geblieben wäre. Denn der Trip kam mich teuer zu stehen inklusive einer gewaltigen Portion Nerven.
Wie in Stephen Kings Twilight Zone
Dass es kein Essen gibt, das Personal nicht ständig lächelt und auch sonst mit den Gästen wenig zu tun haben will, stört mich nicht. Das Bordkino geht mir allerdings ab. Langeweile vertrage ich nicht gut und schon die zweieinhalb Stunden von München nach Istanbul werden zur Ewigkeit. Hätte ich doch nur ein Buch mitgenommen. Schade auch, dass wir nicht wie üblich am modernen Atatürk Flughafen Zwischenstopp machen, sondern am Sabhia Gokcen, benannt nach einer Adoptivtochter des berühmten Präsidenten Atatürk, der ersten türkischen Pilotin. Was würde sie wohl zu dem Chaos sagen, das da in ihrem Namen fabriziert wird? Denn im Transitbereich des Sabhia Gokcen komme ich mir vor wie in Stephen Kings Twilight Zone.
Die Stimmung ist düster und morbide. Man könnte meinen, man sei in einem Quarantänelager während eines Ebolaausbruchs. Neben weinenden Kindern und gestressten Erwachsenen gibt es immer wieder solche Besucher, die sich mit dem Elend abgefunden haben und stoisch in einer Ecke sitzen. Steckdosen zum Handyaufladen sucht man hier vergeblich, Internet gibt es nur gratis zum schlechten Essen in den Restaurants. Und dann nur limitiert für eine Stunde. Als ich Internet dazu kaufen will, funktioniert das Abbuchen mit der Kreditkarte nicht. Und so sitze ich zwischen den frustrierten Massen und warte auf meinen Weiterflug.
Die Monitore gehen falsch
An welches Gate ich muss, weiß ich nicht. Das wird erst kurz vor dem Flug entschieden. Also schaue ich immer wieder auf die Monitore. Meinem Smartphone fehlt das Internet, es stellt die Zeit nicht von selbst ein. Daher stelle ich es nach der Zeitanzeige eines Monitors. In der Türkei ist es also eine Stunden später als zu Hause. Halt, waren das nicht immer zwei? – „Naja, vielleicht hat das etwas mit der Zeitumstellung zu tun“, vermute ich und suche weiter nach Steckdosen. Endlich, das Gate wird angezeigt. Noch schnell eine rauchen, immerhin gibt es dafür einen extra Balkon. Ich setze mich an das Gate und sehe mich um. Hm, gar keine Kirgisien da, auch kein Personal. Hier scheint sich demnächst nichts zu tun. Ich blicke auf die Uhr. Ein Stein rutscht mir in die Magengrube. Es ist 21.45 Uhr, Abflug war um 21.15 Uhr. Ich war mir sicher, ich hätte noch eine halbe Stunde Zeit, total time confusion. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Am nächsten Morgen werde ich herausfinden, dass manche Flughafenmonitore die falsche Zeit anzeigen. Ich Pechvogel habe den Falschen erwischt.
Bild aufgenommen um 6.07 Uhr
Bild aufgenommen um 6.08 Uhr
Am Abend denke ich noch, ich leide unter ersten Anzeichen von Altersdemenz. In Schock zupfe ich einen Pegasus-Mitarbeiter am Ärmel und beichte die Misere. Leider hat er keine Zeit für mich. Eine Gruppe anderer Gäste ist gerade dabei, ihren Heimflug nach London zu verpassen, weil die Passkontrolle durch einen Computerfehler verzögert wird. Der Mitarbeiter entschuldigt sich und bietet den Engländern ein Hotelzimmer sowie einen kostenlosen Ersatzflug am nächsten Morgen an. Auch zu mir ist er nett, er muss sich ja nicht um das Problem kümmern. Ich solle zu seinem Kollegen am Transitbereich gehen. Ein gewisser Herr Ömer würde mir weiterhelfen.
Wie einen Hund plärrt er mich an
Als Allerertes erkundigt sich Herr Ömer nach meiner Nationalität. Als er hört, dass ich einen deutschen Pass habe, atmet er auf. Gerade hat er sich Arbeit gespart. Ich solle durch die Passkontrolle gehen und am Flughafenschalter ein neues Ticket kaufen. Doch an der Passkontrolle staut sich wie ein mittelalterlicher Lindwurm eine riesige Menschenschlange. Da war ja was. Sie haben Probleme mit dem Computersystem. Vor mir liegt die Aussicht auf eine mehrstündige Wartezeit . Ich gehe zurück zu Herrn Ömer, um mich nach Alternativen zu erkundigen, etwa die Möglichkeit einer Online-Buchung. Herr Ömer hat keine Lust auf solche Diskussionen. Ganz besonders zu stören scheint ihn die Untergrabung seiner Autorität. Jetzt zieht er andere Seiten auf. Mit ausgestrecktem Zeigefinger plärrt er mich an: „Stell dich jetzt an! Du hast doch sowieso nichts Besseres zu tun!“
Es ist etwa Mitternacht, als ich durch einen leer gefegten leeren Sabhia Gokcen Flughafen irre auf der Suche nach dem Pegasus-Ticketoffice. Schließlich finde ich eine Kabine mit dem Pegasuslogo. Sie ist leer. Ich warte, auch nach einer halben Stunde kommt niemand. Ich kann nicht mehr. Eine Mischung aus Verzweiflung und Wut über Herrn Ömers Dreistigkeit bringt mich zum Weinen. Tränenüberströmt gehe ich zu einem Flughafenmitarbeiter. Vor Schluchzen kann ich kaum sprechen. „Pegasus… office …“ würge ich gerade so heraus. Der Mitarbeiter ist überfahren von so viel Emotion. Doch er zeigt mir das eigentliche Pegasusbüro, das versteckt in einem dunklen Flughafen-Winkel liegt. Gottseidank!
200 Euro Aufpreis
Die Mitarbeiterin ist ausnahmsweise freundlich, doch sie hat schlechte Nachrichten. Der Anschlussflug am nächsten Tag koste 190 Dollar extra, also ungefähr 180 Euro. Später habe ich gesehen, dass knapp 200 Euro von der Kreditkarte abgebucht wurden. An dem Punkt ist mir alles egal. Als ich das Ticket in Händen halte und wieder durchatmen kann, wird mir schlagartig bewusst: Ich sitze bis morgen früh an dem leeren Flughafen fest. Zwei Cafés sind noch offen. Im Ersten sagt mir ein lustloser Barista, dass zu dieser Stunde kein Alkohol mehr verkauft wird. Fast fange ich wieder an zu weinen. Ich brauche jetzt wirklich ein Bier. Zum Glück ist der andere Wirt einsichtig und stellt mir ein kühles Efes hin. Da sitze ich dann die nächsten fünf Stunden bis zum Check-in und belästige meine Freunde zu Hause mithilfe teuren Datenroamings.
Am Morgen klappt ausnahmsweise alles. Doch bekomme ich in dem unbequemen, engen Flugzeug, das Pegasus für den knapp sechsstündigen Flug einsetzt, kein Auge zu. Ich bin froh, als ich am Bischkeker Manas-Flughafen lande. Es gibt kostenlosen, unbegrenzten Internetzugang und ein freundlicher, kirgisischer Flughafenmitarbeiter übergibt mir mein Gepäck, das schon an vorabend angekommen ist.
Am Flughafen herrscht Chaos
Auch den Rückflug verpasse ich beinahe. Der Online-Checkin funktioniert schon mal nicht, weil ich die falsche Buchungsnummer bekommen habe. Denn ich hatte nur für den Hinflug eine Bestätigung erhalten, nicht für den Rückflug. Dafür muss ich extra nochmal bei der Service-Hotline anrufen. Der Flug geht um sieben Uhr morgens. Um drei Uhr nachts bin ich schon am Flughafen, damit nichts schief gehen kann. Ich habe nämlich eine Katze dabei. Mehrfach hatte ich bei Pegasus angerufen und die Mitnahme bestätigt. Ich solle am Schalter zahlen, hatte man mir gesagt. Kein Wort davon, dass das nur in bar möglich ist. Das wäre mir beinahe zum Verhängnis geworden. Am Flughafen herrscht Chaos, vier Flüge gehen gleichzeitig, zwei davon mit Pegasus Airlines. Die Check-in-Schalter sind bis zwei Stunden vor dem Flug gesperrt. Ich bin weit vorne, muss aber wieder aus der Schlange, um einen Geldautomaten zu suchen. Ohne die Hilfe meiner kirgisischen Freunde hätte ich diesen ganzen Stress wohl nicht überstanden. Doch es kommt noch schlimmer.
Als ich zurückkomme, geht nichts mehr weiter. An den Kontrollen stauen sich die Menschen, nur eine Tür zum Gatebereich ist offen. Davor, wie vor einem Nadelöhr schieben und drängen sich Menschenmassen, jeder hat Angst seinen Flug zu verpassen. Es herrscht Ausnahmezustand. Damit der Katze nichts passiert, balanciere ich den Korb wie eine afrikanische Wasserträgerin auf dem Kopf. Meine Arme schmerzen. Doch nicht jeder setzt das Fressen vor die Moral. Ein netter und auch in dieser stressvollen Situation noch ausgeglichener Mann lässt mich vor. In letzter Minute schaffe ich es in den Flieger.
Wie in einem afrikanischen Überlandbus
Der Flug selbst ist etwa so, wie man sich die Reise in einem afrikanischen Überlandbus vorstellt. Kinder weinen und flitzen durch die Gänge. Menschen liegen kreuz und quer über die Sitze. Meine Katze miaut und versucht sich aus ihrem Korb zu befreien. Ich halte sie den ganzen Flug über auf dem Schoß. Der Steward, der mir eigentlich helfen und einen anderen Platz besorgen wollte, hat mich entweder vergessen, oder einfach keine Lust. Das wäre ja nichts außergewöhnliches bei Pegasus. Zusätzlich ist mein Sitz defekt und kann nicht in die Liegestellung gebracht werden, der Sitz des Vordermannes schon. Wie eine Sardine in der Dose fühle ich mich den ganzen Flug über. Zum Glück leide ich nicht an Klaustrophobie. Jedesmal wenn der Flieger wackelt, frage ich mich, ob Pegasus auch an der Flugzeugwartung gespart hat. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Flugangst.
Wir machen wieder Zwischenstopp am Sabhia Gokcen Flughafen. Der hat seine Monitore mittlerweile alle richtig eingestellt und weigert sich fortan zuzugeben, dass sie jemals falsch gingen. Immerhin komme ich planmäßig zu Hause an. Was mir nun an Nerven fehlt, habe ich an Grippeviren dazu gewonnen. In der darauffolgende Woche kann ich vom Bett aus mein Flugdisaster Revue passieren lassen.
Keine zehn Pferde bekommen mich in einen Pegasusflieger!
Pegasus Airlines lässt die Geschichte kalt. Für die Unverschämtheit des Herrn Ömer haben sie sich entschuldigt, mehr auch nicht. Die falsch eingestellten Monitore lägen in der Verantwortung des Flughafens, heißt es in der E-Mail. Die verzögerte Passkontrolle, für die die Engländer ja entschädigt wurden, anscheinend nicht.
Mich bekommen keine zehn Pferde mehr in einen Pegasusflieger und auch nicht an den Sabhia Gokcen Flughafen, nicht einmal geschenkt. Wäre ich mit Turkish Airlines geflogen, hätte ich im Endeffekt dasselbe bezahlt für bessere Organisation, freundlicheren Servie und weniger Flugangst. Pegasus ist das beste Beispiel dafür, wohin uns das Sparen bringt. Viellicht sollten wir umdenken und das Fliegen wieder mehr wertschätzen. Vielleicht lassen sich solche Höllentrips dann vermeiden.
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