Die Reise hörte sich beinahe zu gut an, um wahr zu sein. Ein kostenloser Trip nach Transsilvanien, bei dem ich sogar noch ein wenig Geld verdienen würde. Es ging um eine Story, aber dazu später. Eingefädelt hat das Ganze ein guter Freund, der die Katastrophe genauso wenig kommen sah wie ich. Kleiner Reisetipp im Allgemeinen: „Ich kenn da wen, der jemanden kennt…“ ist eine gefährliche Grundlage für jede Art von Geschäft. Dieses begann mit einer 14 Stunden langen Autofahrt von Nordbayern ins Zentrum Rumäniens, nämlich nach Transsilvanien. Bereits auf der Hinreise hatte ich ein bedrückendes Bauchgefühl. Irgendetwas sagte mir, dass ich diese Strecke nur einmal zurücklegen würde.

Ich kann euch sagen, wo der Horror nicht angefangen hat, nämlich im Schloss des Grafen Dracula in Bran. Die rumänische Provinz stellt man sich als düsteren wolkenbehangenen Ort vor, an dem es eigentlich nie richtig hell wird. Graf Vlad war eine historische Person, die den Beinamen Draculea trug – das heißt übersetzt: Sohn des Drachen. Später wurde er Vlad der Pfähler genannt, weil er die Angewohnheit hatte, Leute auf Holzpfähle zu spießen und diese zur Abschreckung am Straßenrand stehen zu lassen. Nachweislich sank damals die Kriminalitätsrate schlagartig.

Bei blauem Himmel und Sonnenschein hält sich der Gruselfaktor des Dracula-Schlosses in Grenzen. Kudos an die Filmindustrie, die das Gebäude so morbide in Szene gesetzt hat. Das einzig Schockierende sind die Wartezeiten in der Schlange zur Schlossbesichtigung.

Ein wenig enttäuschend für Horrorfans ist das Innere der Festung, weder Särge noch Fledermäuse gibt es. Ja nicht mal Spinnweben sind in dem adretten Gebäude zu finden. Ein Kunsthistorikerherz würde springen vor Freude, denn Tatsache ist: Das berühmte Schloss in Transsilvanien hat einiges mehr an Geschichte als nur Reißzähne. Leider kann ich das nicht weiter ausführen, denn der Touristenstrom, der sich wie ein riesiger Lindwurm durch das Schlossinnere schiebt, lässt keine ausführlichen Studien zu. Bram Stokers Dracula hätte sich gefreut über die vielen Hälse, die er frei Haus geliefert bekommt, sämtliche Geschmacksrichtungen: japanische, orientalische oder mitteleuropäische Cuisine.

Das Schloss in Bran ist eine Touristenhochburg, an deren Fuße es nur so wimmelt von kitschigen Souvenirläden und überraschend modernen, südländisch wirkenden Cafés. „Ein bisschen wie Italien“, dachte ich mir bereits auf der Herfahrt.

Roadtrip! Allein die Straßenkultur Rumäniens ist ein Erlebnis mit hohem Lehrwert. Man lernt zum Beispiel, dass es sehr viele Schafe gibt, dass Pferde hauptsächlich zum Karrenziehen, nicht aber zum Reiten genutzt werden oder, dass in einer bestimmten Region sogar rumänischer Büffelmozzarella hergestellt wird. Des Weiteren lernt man, dass es viele herrenlose Hunde gibt, mit denen buchstäblich die Straßen gepflastert sind. Sogar noch weniger beliebt als Straßenhunde sind bei Rumänen die Zigeuner. Ja, die gibt es noch. Der Stereotyp: Frauen tragen bunte Röcke und Kopftücher, Männer tragen einen Rauschebart, aus dem meist eine Pfeife hängt.

Die Schafe werden hauptsächlich für ihre Milch gehalten, daraus wird oft vermischt mit Kuhmilch ein besonderer Rauchkäse gemacht. Die rumänische Küche ist sonst recht fleischreich. Pressack zum Frühstück ist keine Seltenheit. Allgemein muss man einen großen Magen mitbringen, denn die rumänische Gastfreundschaft kennt keine Gnade: Wenn man schon doppelte Portionen an Grießsuppe und leckeren Hackfleisch-Krautwickeln hineingeschaufelt hat, kommt die Gastgeberin mit Torte und Blätterteig-Delikatessen. Für Kopfwehfans sind selbstgebrannter Schnaps und hausgemachter rumänischer Wein ein unverzichtbares Reiseerlebnis.

Geschichtswissen: Transsilvanien ist ein geografisches Gebiet im Zentrum Rumäniens, das die Südkarpaten umfasst. Ein anderes Wort für Transsilvanien ist Siebenbürgen, denn im Mittelalter lebten dort sächsische Siedler als deutschsprachige Minderheit. Daher haben viele Orte nun sowohl einen rumänischen als auch einen deutschen Namen. Beispielsweise das Städtchen Weidenbach heißt Ghimbav, Neustadt heißt Cristian. In beiden Orten, wie an vielen anderen in Siebenbürgen, gibt es eine besondere Form von Kirchen zu bewundern, sogenannte Kirchenburgen, in die sich die Dorfbevölkerung im Mittelalter flüchtete, wenn sie überfallen wurde, zum Beispiel von Vlad dem Pfähler.

Kirchenburgen sind von einer Mauer umgeben, deren Türme mit Schießscharten ausgestattet sind. In Weidenbach nistet auf einem dieser Türme ein Storchenpaar – nichts Besonderes, denn Störche gibt es in Rumänien wie bei uns Spatzen.

Rumänisch ist wie Italienisch, eine romanische Sprache, allerdings mit slawischen Einflüssen. Es hört sich an wie eine bunte Mischung, bei der man abundzu auch englische oder deutsche Wortfetzen ausmacht. Junge Leute sprechen meist recht gut Englisch, ältere Deutsch. Russisch können zwar viele, aber sprechen es nicht gern. Seit 2007 ist Rumänien Mitglied in der Europäischen Union, Währung ist allerdings nicht der Euro, sondern der Leu, zu deutsch „Löwe“. Stark ist er aber nicht, etwa 4,50 Lei (Plural) entsprechen einem Euro – was Rumänien zu einem sehr preiswerten Urlaubsland macht.

Bei Bekannten von Bekannten haben wir auf einem Bauernhof übernachtet. Es gab eine Handvoll Kühe, eine Handvoll Schafe, eine Handvoll Hühner, ein langbeiniges Schwein, einen großen bärigen Wachhund mit niedlichen Welpen und eine liebeshungrige Katze. Für einen Rumänen war das ein bescheidener Landwirtschaftsbetrieb, für einen deutschen Urlauber eine Oase der Besinnlichkeit. Am liebsten wäre ich für immer auf dieser mosaikstein-besetzten Terrasse sitzen geblieben.

Wenn ich jemanden fotografieren möchte und die Sprache nicht spreche, halte ich meist die Kamera in die Höhe und sehe betreffende Person fragend an. Meist antwortet der- oder diejenige mit einem zustimmenden Nicken, wie auch der Bauer auf den Bildern unten. Kurz hat er sein Arbeitspferd angetippt und in meine Richtung gezeigt. Prompt hat es den Kopf gewendet und interessiert in die Kamera geguckt – eine schöne Szene.

Weiter geht die Fahrt in Richtung Horror, der Kataklysmus braut sich wie ein Sturm zusammen. Aus dem Autofenster sieht man bereits die Berge, gleich erkläre ich die Hintergründe. Zunächst aber noch zwei Bildersets von Motiven, die mir besonders aufgefallen sind.

Als alter Roadmovie-Fan ala Mad Max, mag ich grindige Autos gerne, so auch dieses Exemplar, das in einem Hinterhof vor sich hin rostet. Ansonsten ist Rumänien Dacia-Country. Ihr kennt ja den Werbeslogan: „Das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen“.

Der Maikäfer ist neben dem Storch ein schönes Beispiel dafür, dass in Rumänien die Umwelt noch in Ordnung ist, auch wenn es wirtschaftlich nicht so rosig aussieht.

So, jetzt aber, hier die Geschichte, auf die ihr so lange gewartet habt:

Es ging um eine Jagdreise, die ich für ein Magazin dokumentieren wollte, genauer gesagt ging es um den Auerhahn. Der große hühnerartige Gebirgsvogel ist in Deutschland selten geworden und daher geschützt. In Osteuropa etwa in Russland sind die Populationen stabil und Auerhühner werden von Einheimischen gejagt und gegessen.

Grundsätzlich befürworte ich Jagdtourismus, da man nur wenige Tiere entnimmt und vor allem die Wirtschaft ärmerer Länder profitieren kann. Das heißt, Jagdtourismus ist – entgegen landläufiger Meinung – durchaus positiv zu sehen, solange sich alle an die Regeln halten und das Geld an den richtigen Stellen ankommt. Jagdreisen einschließlich der notwendigen Lizenzen, Transport, Unterbringung, Guide und den CITES-Papieren für die Einfuhr von Trophäen sind ziemlich teuer, daher dokumentiere ich im Ausland nur anstatt selbst zu jagen.

Den Jäger, den ich begleiten sollte, kannte ich nicht. Die Reise schien jedoch in Ordnung zu sein, denn auf den Websites rumänischer Anbieter werden ähnliche Touren angeboten. Jedoch gab es während der Fahrt schon erste Anzeichen von Unheil, die mir erst im Nachhinein klar geworden sind. Mit dem Jäger nämlich schien ich einfach nicht auf derselben Wellenlänge zu sein. Ich stellte Fragen und bekam seltsame Antworten, die ganz und gar nicht zum Gefragten passten. „Kommunikationsproblem“, dachte ich zunächst. Trotzdem hatte ich ein unangenehmes Drücken in der Magengrube.

Eines Abends habe ich wohl zu viele Fragen gestellt und wurde vom „Reisehäuptling“ recht ruppig abgefertigt. Das hat mich überrascht, wusste derjenige doch, dass ich Journalistin bin und seine Jagd dokumentieren will. Quälende Zweifel nagten, das Drücken in der Magengrube wurde stärker. Er verschwieg etwas. Was konnte es sein? War ich hier unwissentlich an illegalen Machenschaften beteiligt?

Dem Himmel sei Dank für günstige Datenroamingtarife. Über eine Googlesuche via Smartphone bin ich auf die Facebookseite eines rumänischen Jägers gestoßen. Er machte einen seriösen und weltoffenen Eindruck, die Website war in einwandfreien Englisch geschrieben. Ich wusste, es war ein „langer Schuss“, die Chance rechtzeitig Antwort zu bekommen war gering. Ich habe ihm geschrieben, ob er zu dieser Jahreszeit Auerhähne jagte, ob er mich mitnehmen könne. Die Antwort kam überraschend prompt: Es täte ihm leid, aber das könne er nicht, denn Auerhahnjagd sei in Rumänien seit vier Jahren verboten. In meinen Magen plumste ein Betonblock. Von einer Sekunde auf die andere schien sich die fröhliche Sonnenlandschaft Transsilvaniens in ein düsteres Wolkenmeer zu verwandeln. Irgendwo zwischen Wut und Ratlosigkeit lief ich draußen auf und ab, rauchte eine Zigarette nach der anderen. „Ruhig bleiben, einen kühlen Kopf bewahren“, sagte ich ich mir, dann fasste ich einen Plan. Am nächsten Morgen rief ich die Redaktion an und ließ die Informationen des rumänischen Jägers bestätigen. Klar war, ich konnte keinen Moment länger bei der Gruppe bleiben. Beim Frühstück eröffnete ich dem „Häuptling“, dass sich unsere Wege trennen würden. Seine Antwort: „Das war die beste Idee, die du bisher hattest.“ Ich war so wütend, beinahe hätte ich mich übergeben. So abgeklärt wie möglich antwortete ich: „Der Meinung bin ich auch.“ Dann packte ich meine Sachen.

Doch wo sollte ich hin, wir waren mit dem Auto hier. Wie sollte ich nach Hause kommen? Sollte ich überhaupt nach Hause fahren, sollte ich meine Story einfach aufgeben? Vielleicht könnte ich eine andere Jagd dokumentieren, Wildschwein und Bär hatten offiziell Jagdzeit.

Also rief ich den einzigen Einheimischen an, den ich kannte, der Englisch sprach und dem ich vertraute, hatte er mir doch unverblümt die Wahrheit gesagt, den Jäger vom Vorabend: Emil Inout Negrusa, Inhaber der Agentur Carpathien Hunters. Später sollte sich herausstellen, das war die richtige Entscheidung. Emil hatte Verständnis, er konnte mir zwar keine Jagdstory versprechen – der Frühling war einfach die falsche Jahreszeit – aber die Karpaten wollte er mir zeigen. Er lud mich ein.

Einfach sollte es nicht werden. Ich war etwa 300 Kilometer von Emils Heimatort Bistrita entfernt, die Reise dorthin wurde zu einer ziemlichen Odyssee, denn der öffentliche Transport in Rumänien lässt zu wünschen übrig. Allein am Bahnhof saß ich vier Stunden.

Die letzten 100 Kilometer musste ich mit einem verrückten Taxifahrer zurücklegen. Dabei hatte ich immer das Bild eines Oktopus auf Speed im Kopf: Der ist gefahren wie ein Irrer, hat Kette geraucht, Kaffee getrunken und ständig an Radio und Handy rumgedrückt – alles gleichzeitig. Um Mitternacht sind wir angekommen, zwei Stunden später haben mich Emil und sein Vater abgeholt. An Schlaf war nicht zu denken, zu aufgewühlt war ich von den Ereignissen der letzten Tage.

So fand ich mich um zwei Uhr morgens mit schwer bepacktem Rucksack irgendwo in den Karparten wieder. Schnaufend und keuchend, meine vorangehende Faulheit verfluchend bahnte ich mir Schritt für Schritt nach oben. Emil und sein Vater Valer halfen so gut sie konnten. Wir waren unterwegs zu einem Auerhahn-Balzplatz. Anstatt mit dem Gewehr, gingen wir mit der Kamera auf Jagd.

Fix und fertig stand ich oben und habe gefroren wie selten in meinem Leben, aber was wir erlebt haben, war einzigartig. Kurz vor Morgengrauen begann das sogenannte „Knappen“, nicht von einem oder zwei sondern von etwa einem Dutzend Auerhähnen. Emil hat mir erklärt, wie man sich anpirscht: nur in der zweiten Strophe, einer Art Zischen, bewegen und dann „freeze“ – als wäre es ein Spiel.

Als „mystischen Vogel“ bezeichnen die Rumänen den Auerhahn. Ohne es genau erklären zu können, verstehe ich warum. Der große, scheue Bergvogel ist in seinem Verhalten und in seinem Aussehen eben etwas ganz besonderes. Während der Hochsaison der Balz im April geht der Gesang weiter bis zum Morgengrauen. In der Ferne scheint das Licht auf die schneebedeckten Gipfel der Karpaten. Emil zeigt auf die, die er schon bestiegen hat.

Unten eines von Emils Videos vom balzenden Auerhahn.

Emil ist erst 27 Jahre alt, die Jagdagentur betreibt er seit vielen Jahren. Jagen geht er, seit er laufen kann, sein Vater Valer Negrusa verwaltet mehrere Jagdreviere und war einer der Jagdführer des ehemaligen Diktators Ceausescu. Der kam öfters nach Bistrita zur Jagd. Seine riesige Jagdhütte am Delau Negra, am schwarzen Hügel, wurde renoviert und steht nun für Jagdgäste zur Verfügung. Drumherum, soweit das Auge reicht: Obstbäume. Im Herbst kommen die Bären um das Obst zu fressen, eine riesige Kirrung sozusagen.

Als waschechter Naturbursche, vermittelt Emil nicht nur Jagdmöglichkeiten in ganz Rumänien, sondern auch alle Arten von Trekking oder Wildlife-Watching. Er hat drei Jahre lang in London gelebt und spricht perfekt Englisch. Zusammen mit seiner Frau Theo hat er sich spontan Zeit genommen, mich untergebracht und mit rumänischer Gastfreundschaft bewirtet bis der Hosenbund gespannt hat.

Simion, ein Freund von Emil, hat eine Pferderanch und bietet dort Reit- und Trekkingtouren an. Und so kam es, dass ich am Abend vor meiner Abreise – per Flugzeug von der Stadt Cluj aus – auf einem schwarzen Lipizzaner durch die rumänischen Wälder galoppierte. Alle Anspannung war vergessen, ich fühlte mich wieder wohl, war ich doch in Begleitung neuer Freunde. Ohne die nervenaufreibende Vorgeschichte hätte ich Emil und Simion nicht kennengelernt. Ende gut, alles gut.

Emil bietet nicht nur Jagdtouren an, sondern ist auch als Bergführer beziehungsweise Outdoor- Reiseorganisator wärmstens zu empfehlen. Unter anderem Pferdetrekking und Wildlife-Watching kann über Carpathian Hunters buchen. Für Jagdinteressierte: Die rumänischen Wälder sind voller Wild, das unter Gigantismus leidet. Die Abdrücke von Hirschschalen auf dem Feldweg hatten die Größe eines Pferdehufs. Bei dem Ausritt haben wir einen Keiler am Waldrand gesehen, den ich zunächst für einen Bären hielt. Emil und Simi möchten demnächst Horse&Hunt-Touren anbieten: Mehrtägiges Pferdetrekking bei dem abends gepirscht wird.

Weitere Infos inkl. Kontaktformular auf

www.carpathianhunters.ro

Emils Facebookseite

Simions Facebookseite