Die ernsten, konzentrierten Gesichter verraten die Anspannung, wenn sich die Kontrahenten an den reißfesten Schwingerhosen fassen und auf das Signal des Kampfrichters warten. Gibt er es, versuchen beide sofort mit eingeübten Würfen bzw. „Schwüngen“ den Gegner rücklings ins Sägemehl zu drücken.
Das Schwingen ist ein Schweizer Nationalsport, der vor allem im deutschsprachigen Raum ausgeübt wird. Die Jahrhunderte alte Tradition erfreut sich auch heute noch großer Beliebtheit, wie die voll besetzten Tribünen diesen Sonntag im Dörfchen Erstfeld zeigen. Die Stimmung ist eher gemütlich bei der „Urner Kantonale“ – wer nicht gerade einen der fünf Kampfplätze beobachtet, sitzt im Bierzelt oder döst im Schatten auf der Wiese. Einer der 2500 Zuschauer erzählt mir stolz, dass es bei den eidgenössischen Schwingkämpfen (national) trotz Besucherzahlen von knapp 50000 nie Schlägereien gibt. Tja, Schweiz eben.
Die Schwingkämpfe beginnen schon am frühen Morgen um halb acht und werden mittags nur zur Sonntagsstille unterbrochen. Wer beim Schwingen ist, kann nicht in die Kirche gehen und daher kommt die Kirche zum Schwingfest. Als Pfarrer und Anhang Einzug halten, zieht es die Meisten doch lieber ins Bierzelt. Nach dem Gottesdienst geht es weiter mit dem Schwingen. Die 164 Teilnehmer aus den verschiedensten Alters- und Gewichtsklassen müssen alle gegeneinander antreten, jeweils sechs Durchgänge pro Schwinger mit jeweils fünf Minuten pro Zweikampf.
„Kurz“, „Übersprung“, „Brienzer“, „Hüfter“, „Buur“ oder „Wyberhaagge“ heißen die Hauptschwünge mit denen die Gegner versuchen sich gegenseitig ins Sägemehl zu drücken. Sieger ist, wer den anderen mit mindestens einer Hand an der Schwinghose festhält und ihn mit beiden Schulterblättern in den Boden drückt. Dabei müssen mindestens zwei Drittel des Rückens auf dem Boden sein. Die besten Schwinger werden als „die Bösen“ bezeichnet.
Jeder Schwinger hat eine Nummer. Die Nummern der jeweiligen Kämpfer werden vorne und hinten auf einer Tafel angezeigt. Damit alle Zuschauer diese Tafeln auch sehen können, werden sie – ganz „Low Tech“- von kleinen Helfern die ganze Zeit gedreht – eine ehrenvolle Aufgabe, wie ich mir sagen lasse. Jeder Kampf wird von drei Kampfrichtern beurteilt, davon steht einer immer mit auf dem Platz und die anderen beiden sitzen am Tisch daneben.
Ganz traditionell geht es auch bei den Preisen zu. Da gibt es neben Werkzeugkästen und Motorsägen auch edle Kuhglocken und Trachtenanzüge. Am interessantesten sind aber erster und zweiter Preis: ein zwei-jähriges und ein ein-jähriges Rind, die beide in den Pausen zwischen den Durchgängen über den Platz geführt werden. Den ersten Preis kenne ich persönlich. Camilla wurde von meinem Chef bzw. seinem Verein gesponsort, und als sie so anstandslos und ruhig vor der Menschenmenge herumspaziert, bin ich schon ein wenig stolz. Das Training hat sich ausgezahlt. Um sie an den Führstrick zu gewöhnen, sind wir ein paar Mal vor dem Stall mit ihr Spazieren gegangen.
Am Abend steht der Sieger fest, ein 26-jähriger aus dem Kanton Schwyz. Ich bekomme die Siegesfeier zwar nicht mehr mit, weil ich zum Kühe-Melken nach Hause muss, aber ich freue mich, als am nächsten Tag meine Camilla wieder im Stall steht. „Der Lebendpreis ist eher symbolisch, die Sieger wählen meistens das Preisgeld“, erklärt mir mein Chef, der das schöne Tier auch ungern hergegeben hätte.
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