Ein Mann geht neben der Straße, in beiden Händen trägt er Einkaufstüten. Als er einen verwahrlosten Hund unter einem Baum liegen sieht, setzt er die Tüten ab, hebt einen Stein auf und wirft ihn nach dem Tier. Der Hund ist getroffen, er jault und rennt mit eingezogenem Schwanz davon.

Dies ist eine Szene, wie sie in vielen Ländern Zentralasiens vorkommen kann. Streunende Tiere leben massenweise auf den Straßen und sind den Menschen ein Dorn im Auge. In der Region um Tashkent, der Hauptstadt Usbekistans, schätzt man die Zahl der herrenlosen Hunde und Katzen auf 120000.

Auf dem Jangiabod-Basar in Tashkent werden massenweise Hundewelpen und Kätzchen angeboten. Was nicht verkauft wird, landet auf dem Müll oder auf dem Teller.

„Der grausame Umgang mit den Tieren ist für die Bevölkerung normal“, sagt Naegis Tashpulatova, unabhängige Journalistin in Tashkent. Sie beschäftigt sich schon lange mit dem Thema und erklärt es so: „Unsere ursprüngliche Religion, der Islam, lehrt, zu allen Lebewesen gütig zu sein. In Zeiten der Sowjetunion gab es nie eine Regelung für den Tierschutz und die Menschen haben diese Grundsätze einfach vergessen.“

Wenn man sich in Usbekistan umsieht, werden Tiere wie wertlose Gegenstände behandelt. Kinder in den Vororten Tashkents töten Katzen zum Spaß, die Erwachsenen lassen sie gewähren. Staatliche Hundefänger sammeln die Tiere ein und erschlagen sie mit Eisenstangen.

Wenn die „weggeworfenen“ Tiere überleben, werden sie zu Streunern, wie hier in einer Lagerhalle neben dem Basar. Derzeit schätzt man, dass in der Region um Taschkent etwa 120000 Hunde und Katzen auf der Straße leben.

Auch jetzt, mehr als 20 Jahre, nachdem Usbekistan ein unabhängiges Land geworden ist, stellt der Tierschutz noch immer eine Lücke in der Gesetzgebung dar. „Mehr va Oqibat“, übersetzt „Güte und Erbarmen“, ist die erste und bisher einzige wohltätige Organisation, die sich für Tiere einsetzt. Allein von der Idee in 2008 bis zur Gründung vergingen zwei Jahre, denn die Kategorie „Tiere“ existierte nicht im bürokratischen System Usbekistans.

„Wir möchten leben“ steht auf dem Plakat.

Zurzeit wird „Mehr va Oqibat“ geleitet von der 23-jährigen Madina Saidkarimo`va. Sie sagt: „Der schwierigste Teil unserer Arbeit ist es, die Einstellung der Menschen zu ändern. Vor allem in den Schulen müssen wir Aufklärungsarbeit leisten. Die Kinder sollen begreifen, dass Tiere Lebewesen sind, die Schmerz empfinden.“

Die junge Usbekin erklärt in fließendem Deutsch, dass sie ihre Arbeit aus Überzeugung macht. Sie liebt Tiere, hat aber selbst nur eine Katze, für einen Hund fehlt ihr die Zeit. Vor neun Monaten hat sie ihren Beruf in der Tourismusbranche gekündigt, um sich ganz auf die wohltätige Arbeit zu konzentrieren. Geld verdient sie keines, sie ist auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen.

Madina erklärt Theaterbesuchern die Arbeit von „Mehr va Oqibat“. Das unabhängige Ilkhom-Theater in Tashkent unterstützt die Arbeit der Organisation und hat Platz gemacht für eine Ausstellung. Viele Leute in Usbekistan haben noch nie etwas vom Tierschutz gehört.

Madina ist jeden Tag unterwegs, organisiert Ausstellungen, spricht mit den Behörden und koordiniert Hilfsaktionen. Die junge Frau hat viel Energie, die sie braucht für ihre Arbeit.  „Viele Leute wissen nicht, was eine Tierschutzorganisation macht und fordern Unmögliches“, sagt Madina, „zum Beispiel bekommen wir Anrufe von Frauen mit 20 Katzen, die wollen, dass wir für sie eine Wohnung finden. Um den Menschen zu helfen, gibt es aber genug andere Organisationen.“ Vor allem die vielen Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung zehren an den Nerven, weshalb viele von Madinas Vorgängern ihr Amt niedergelegt haben.

Für Madina ist die Aufklärungsarbeit in den Schulen einer der wichtigsten Aufgaben von „Mehr va Oqibat“: „Die Kinder müssen verstehen, dass Tiere Lebewesen sind, die Schmerz empfinden.“ Foto: Mehr va Oquibat

Aber nicht nur Missmut, sondern auch Anerkennung bekommt „Mehr va Oqibat“ von den Leuten. Vor allem viele junge Leute verstehen die Notwendigkeit des Tierschutzes. Alte Menschen, für die das Haustier der einzige Gefährte ist, freuen sich über die Unterstützung und mittlerweile wird die Organisation auch von der Regierung ernst genommen.

„Mehr va Oqibat“ arbeitet mit verschiedenen Tierkliniken zusammen, um Katzen und Hunde sterilisieren zu lassen. Die Tierärzte bieten die Operation zum Freundschaftspreis an, für die Halter ist sie kostenfrei.

Um das Problem mit den Streunern in den Griff zu bekommen, arbeitet „Mehr va Oqibat“ mit verschiedenen Tierkliniken zusammen. Dort werden Hunde und Katzen zum Freundschaftspreis sterilisiert und die Organisation versucht, für sie ein neues Zuhause zu finden.  Zurzeit haben sie kein Tierheim, nur eine Haltestation für maximal zwei Wochen. Es ist schwierig, in Usbekistan ein langfristiges Heim zu eröffnen: Laut Gesetz darf niemand mehr als zwei Tiere halten.

Kinder haben diesen Hund mit Steinen beworfen und eines seiner Hinterbeine verkrüppelt. In der Haltestation von „Mehr va Oqibat“ kümmern sich die Tierschützer um ihn, bis er in ein neues Zuhause kommt.

Die Tierschützer wünschen sich zwar mehr Tierheime, aber sie glauben nicht, dass sie das Problem allein dadurch lösen können. Zunächst wollen sie versuchen, eine Gesetzgebung zu etablieren, die die Sterilisation der Haustiere vorschreibt. „Die Zahl der streunenden Tiere steigt immer weiter, weil die Leute unkontrolliert züchten. Die Welpen oder Kätzchen werfen sie dann einfach auf die Straße“, sagt Madina. Oft werden Jungtiere massenweise auf den Basaren zum Verkauf angeboten. Der Überschuss landet auf dem Müll oder als Abendessen, entweder für Obdachlose oder in koreanischen Restaurants.

Bisher hat „Mehr va Oqibat“ mehr als 400 Tiere sterilisieren lassen. „Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt Madina, „wir wünschen uns die Unterstützung der großen, internationalen Tierschutzorganisationen, um mehr bewegen zu können.Vor allem Spenden sind schwer aufzutreiben, in einem Land, in dem Tiere nichts wert sind.“

Dieser Junge streichelt zum ersten Mal einen Hundewelpen, anstatt ihn zu treten. Nur langsam wandelt sich das Bild des Tieres in der Gesellschaft: vom Gegenstand zum Lebewesen. Foto: Mehr va Oqibat

Hier der Link zu Mehr va Oqibats Facebook-Seite.

Fotos: Lochner (falls nicht anders vermerkt)