Unsere Zug-Stewardess hält mir zwei Tüten unter die Nase, einmal schwarzen Instantkaffee, einmal Kaffee mit Milchpulver und Zucker. „Mit Milch, aber ohne Zucker“, sage ich auf Englisch. Sie sieht mich nur fragend an. Das scheint hier nicht oft bestellt zu werden. Sie ergreift die Initiative und geht den Gang hinunter zu einer Kabine, in der jemand Englisch spricht. Ich gehe mit.
So lerne ich die Russin Marina mit ihre 14-jährigen Tochter Ilena kennen. In derselben Kabine sitzen auch Benjamin und Jessica, ein junges Paar aus Holland. Die beiden haben vor einem Monat geheiratet und sind nun auf einer vierwöchigen Hochzeitsreise von Moskau nach Peking. Als ich dazu komme, lassen sie sich gerade von Marina die russischen Gepflogenheiten erklären. „Kann nicht schaden“, denke ich und setze mich dazu. Marina sagt zum Beispiel: „Geht nicht im Bordrestaurant essen, das ist nicht gesund. Kauft das selbst gemachte Essen von den alten Frauen am Gleis.“
Natürlich folgen wir sofort ihrem Rat. Sie dolmetscht für uns und es gibt gekochte Kartoffeln, eingewickelt in Zeitungspapier, mit sauren Gurken in Dill und Knoblauch. Dazu viele frische Erd- und Himbeeren. Ein typischer Spruch für das Essen auf Reisen lautet „schäl es, koch es, brat es oder vergiss es.“ Wie weit man sich dabei aus dem Fenster lehnt, muss jeder selbst wissen. Auf gar keinen Fall sollte man erst am Bahnhof einen zugelaufenen Hund streicheln und dann mit den Fingern Himbeeren essen, die noch nach Erde schmecken. Hygienisch gesehen ist das wohl nicht zu empfehlen.
Den Rest des Tages verbringe ich in der Kabine von Marina und den Holländern. Nach und nach kommen immer mehr Leute dazu. Jeder will die komischen Ausländer sehen, die so viele Fragen stellen. Der Gleisarbeiter Igor bringt die selbst gemachten Fleischklößchen seiner Mutter mit. „Nein, danke“ lässt er nicht gelten, jeder muss probieren. Mit seinem Kollegen Ivan tausche ich Zigaretten und wir unterhalten uns beim Rauchen über Musik …wenn ich nur jedes Mal einen Euro dafür bekäme, wenn ich „Du hast“ von Rammstein übersetze.
Während wir in der Kabine auf den Schlafliegen sitzen und uns unterhalten, schaut Ilena ab und zu überkopf von oben herunter und korrigiert das Englisch ihrer Mutter. Was wir mit Sprache nicht hinbekommen, sagen wir mit Händen und Füßen oder malen es auf. Jessica und Benjamin haben ein nützliches Bilderbuch mitgebracht: „Point it“. Lowa, ein kleiner Junge aus der Nachbarkabine springt vor der Tür hin und her und schneidet Grimassen. Wir lachen viel und laut. Aus der Nachbarkabine hämmert es an die Wand. Ein junger Anwalt, der erst später dazu gekommen ist, winkt ab und sagt in gebrochenem Englisch: „If man wants to sleep, he will sleep.“ Er stellt sich als ein Meister des politischen Monologs heraus. Seiner Meinung nach seien die Russen viel zu geduldig. „In der Türkei und Ägypten gehen sie auf die Barrikaden, und wir sitzen nur herum“, sagt er.
Fast den gleichen Wortlaut benutzt Victoria, eine Russin, die am nächsten Tag zu uns in die Kabine kommt. Marina und ihre Tochter sind an der letzten Haltestelle ausgestiegen. Victoria ist etwa Mitte zwanzig und unterwegs zu einem Meeting. Sie arbeitet für einen großen Getränkehersteller im Marketing. „Fliegen wäre zu teuer gewesen, deshalb nehme ich den Zug“, sagt sie. Ein Inlandsflug hätte ein Monatsgehalt gekostet, umgerechnet etwa 100 Dollar.
Sie freut sich über die Unterhaltung, hatte sie doch mit einer langweiligen 6-stündigen Fahrt von Perm nach Jekatarinburg gerechnet. Nach einiger Zeit steht auch schon das Bier auf dem Tisch. Victorias Vater habe ihr mit neun Jahren das Trinken beigebracht, nur zu ihrem besten. Denn jetzt sei sie so gut wie immun. Ihr jetziger Mann habe beim ersten Date bemerkt: „Warum bin ich betrunken und du nicht?“ Das habe ihm so sehr imponiert, dass er sie geheiratet hat. Darauf stoßen wir an, mit dem guten „Baltika“-Bier aus dem Zugkiosk.
Reisetipp: Mit 120 Rubeln ist das Bier im Zug ziemlich teuer. Am Bahnhof kostet es etwa die Hälfte. Das Baltika gibt es mit verschieden hohem Alkoholanteil, gekennzeichnet durch Nummern von 0 bis 9, die sind zwar proportional, aber entsprechen nicht dem Alkoholgehalt in Prozent.
Viktoria steigt in Jekatarinburg aus und ich bekomme neue Zimmergenossen. –ein junges Pärchen, das so gut wie kein Englisch spricht – Jenja und Sergei. Wir verstehen uns trotzdem gut, mit Gestik Mimik und alten Fotos von der Digitalkamera. Die Russen, die ich bisher im Zug getroffen habe, sind aufgeschlossen und hilfsbereit. Auch wenn wir nicht dieselbe Sprache sprechen, helfen sie mir das Bett zu überziehen oder retten mein Kissen, wenn es zum Fenster rein regnet. Essen wird immer geteilt, auch die Rinderzunge aus der Dose. Wenn ich wieder in der Nähe bin, soll ich sie am Baikalsee besuchen, deutet Jenja und schreibt mir ihre E-Mail-Adresse auf.
Mehr Reisetipps:
Pausen: Der Zug hält immer unterschiedlich lange von zwei Minuten bis zu einer Stunde. Fahrpläne hängen in jedem Wagen auf dem Gang. Obwohl man verschiedene Zeitzonen durchquert, ticken die Uhren im Zug nach Moskauer Zeit. Je weniger Zwischenstopps man einlegt, desto härter trifft einen der Jetlag am Ende.
Essen: Es gibt ein Bordrestaurant, aber das Essen dort ist teuer und, den Einheimischen zufolge, nicht gut. An manchen Gleisen gibt es alte Frauen mit Kopftüchern, die aus ihren Taschen Selbstgemachtes aus dem eigenen Garten für 50 bis 100 Rubel verkaufen. Man sollte sich aber nicht darauf verlassen, manchmal muss man für billiges Essen in den Bahnhof gehen. Daher immer ein Auge auf die Zeit haben, sonst fährt der Zug ohne einen weiter.
Trinken: Das einzige Trinkwasser im Zug ist das heiße „Kip-e-tok“ aus dem Boiler. Die Russen nehmen sich dafür immer Teebeutel mit. Kaffee gibt es nur als grauenhaften Instant. Das Wasser aus dem Hahn in den Toiletten ist kein Trinkwasser.
Duschen: Im Zug gibt es keine regulären Duschen. Man munkelt, für ein wenig Bares dürfe man die Personalduschen benutzen. Adrenalinjunkies können ihr Glück in den Bahnhöfen versuchen. An den größeren Haltestellen gibt es immer eine Duschmöglichkeit (70 Rubel) – ausgeschildert mit Bild. Das ist aber immer ein Rennen gegen die Zeit, bis der Zug wieder fährt. Also, Waschlappen ins Gepäck oder einfach stinken lassen.
Toiletten: Kyrillisch lernen lohnt sich. Das Wort „Toilet“ übersetzt sich eins zu eins und man erkennt es schnell wieder. Wenn der Zug in den Bahnhof fährt, werden die Toiletten abgeschlossen. Wenigstens in den Städten sollen die Gleise nicht stinken. Meistens meldet sich genau dann die Blase, wenn der Zug hält – nach dem Motto – nicht an weiße Elefanten denken. In den Bahnhöfen kostet die Toilettennutzung etwa 20 Rubel. Die Zugklos sind übrigens nicht viel schlimmer als die in manchen Regionalzügen der Deutschen Bahn.
Die Fahrt: Es sind alte Züge, die viel ruckeln und rumpeln. Es gibt Menschen, die sich darüber freuen, weil sie besonders gut schlafen können – ich zum Beispiel. Aber es gibt sicher auch Menschen, die davon so eine Art Seekrankheit bekommen. Wer anfällig ist, vorsichtshalber Medikamente mitnehmen.
Rauchen: Zwischen den Waggons gibt es Raucherbereiche und an jedem Bahnhof ist das Rauchen erlaubt. Was einem aber niemand sagt, Zigaretten sind hier so billig (umgerechnet 1,50 Euro), dass niemand selbst dreht. Es ist also fast unmöglich Paper, Filter oder Tabak aufzutreiben.
Gebucht habe ich die Reise über die Bahnagentur Schöneberg in Berlin (400 Euro von Moskau bis Ulan-Bator, 2. Klasse, mit einem Zwischenstopp) – günstige, maßgeschneiderte Reisen und geduldige Beratung für Chaoten wie mich, die erst in letzter Minute überlegen, wo sie eigentlich hin wollen. Sehr zu empfehlen.
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