Neben alpinem Skifahren und Langlauf hält eine weitere Wintersportart im Fichtelgebirge Einzug: Das Tourengehen mit Ski oder Splitboards wird immer beliebter, im Gipfelrestaurant Asenturm findet jeden Mittwochabend ein spezieller Stammtisch statt. Viele Freizeitsportler treten die etwa zwei Kilometer lange Tour mit 386 Höhenmetern erst nachts an, ausgerüstet mit Tourenequipment oder Schneeschuhen, aber auf jeden Fall mit Stirnlampe. Am Gipfel erwartet sie eine warme Mahlzeit, fränkisches Bier und eine gemütliche Atmosphäre.
Die Tourenfelle machen ein schmatzendes Geräusch beim Auseinanderziehen. Es ist aber kein Klebstoff, der die Oberflächen zusammenhält, sondern reine Adhäsionskräfte. Daher hat der Hersteller sie „Gecko“ getauft, wie die kleinen Echsen, die mit ihren knolligen Zehen sogar kopfüber an der Decke haften. In Anlehnung daran sind die Haken zum Befestigen an den Brettern als Echsenfüße designt. Beim Aufziehen bin ich so konzentriert, dass ich das Rascheln hinter mir erst zu spät bemerke. Ein kleiner Windstoß bläst den Beutel, in dem die Felle waren davon. Ich springe auf und renne ihm hinterher.
Mit Snowboard-Boots ist man nicht sehr gelenkig und meine Schritte sehen aus, wie die Sprünge bei der Mondlandung. Jedesmal wenn ich mich bücke und nach dem Beutel greife, rutscht er ein wenig weiter. „Hoffentlich sieht das keiner“, denke ich. Es sind nicht mehr viele Leute an der Seilbahnstation-Nord in Bischofsgrün, denn es ist später Nachmittag und der Sessellift wird gleich schließen. Ich hüpfe weiter erfolglos dem Beutel hinterher, bis er zum Glück am Rücken eines kleinen Kindes hängen bleibt, das mitten auf der Piste sitzt. „Halt ihn fest!“, rufe ich. Das Gesicht mit der Kapuze dreht sich langsam um. Bevor der Junge begreift, was los ist, nehme ich den Beutel, stecke ihn in meine Jackentasche und widme mich wieder dem Snowboard.
Der „Bullhead“
Die Skigebiete im Fichtelgebirge sind zwar nicht annähernd so groß und vielseitig wie in den Alpen, aber die Preise sind günstig. Deshalb kommen viele Eltern aus der Region mit ihren Kindern hierher, um für den Winterurlaub in Österreich zu trainieren. Die Ochsenkopf-Abfahrten Süd und Nord sind mit jeweils etwa zwei Kilometern die längsten Pisten in der Gegend, allerdings sind sie nicht sehr steil und fortgeschrittene Fahrer sind ein wenig unterfordert.
In den letzten Jahren hat sich die Tourismus-Industrie daran gearbeitet, das Image der Region zu verjüngen, zum Beispiel mit einem Mountainbike-Enduro-Rennen im Sommer. Nicht „Ochsenkopf“ hat man die Location genannt, sondern „Bullhead“. Der Wortklang gefällt mir und der englische Begriff scheint auch gut zu passen, wenn es um eine andere Trendsportart geht, die in den letzten Jahren hier Einzug gehalten hat: das Tourengehen. Ich habe gehört, jeden Mittwochabend treffen sich die Tourengänger aus der Gegend zum Stammtisch im Gipfelrestaurant Asenturm.
Skitouren in Oberfranken?! Natürlich muss ich mir das persönlich ansehen. Allerdings habe ich keine Tourenskier, sondern ein Splitboard, also ein Snowboard, das man auseinandernehmen kann. Sogenannte Voile-Aufsätze erlauben es, die Bindung zu drehen, damit man bergauf gehen kann. Zum Abfahren baut man das Board einfach wieder zusammen. Zunächst muss ich aber nach oben. Eine dreiviertel Stunde soll es dauern, hat man mir gesagt. Einen Extraweg für die Tourengänger gibt es nicht, deshalb gehe ich der Piste entlang. Um den Skifahrern nicht in die Quere zu kommen, sollte man daher erst am späten Nachmittag starten.
Endlich Schnee
Bei der Anfahrt habe ich mit Bedauern festgestellt, dass kaum Schnee liegt – wieder ein milder Winter und wahrscheinlich nicht der Letzte, wenn man den Klimaforschern an der Bayreuther Uni glaubt. Hier am Ochsenkopf hängt sogar in den Tannenästen der Schnee und endlich stellt sich bei mir das Winterfeeling ein. Dafür hat eine ganze Bataillon von Beschneiungsanlagen gesorgt. Während ich hochstapfe, brausen die letzten Ski- und Snowboardfahrer an mir vorbei. Es ist nun halb fünf und die Talstation ist geschlossen. Als es wieder ruhig ist, drehe ich mich ein paar Mal um und bewundere die Aussicht ins Tal – gar nicht so schlecht, wenn man bedenkt, dass man nicht in den Alpen ist.
Das Abendlicht taucht die Landschaft erst in einen goldenen, dann in einen violetten Schleier. Ich bin so sehr mit Fotografieren beschäftigt, dass ich die vierköpfige Gruppe, die hinter mir den Berg hoch geht erst spät bemerke. Ich zucke zusammen, als sie mir einen Gruß zurufen. Dann winke ich zurück und frage, ob sie auch zum Stammtisch gehen. „Na klar, wir sehen uns oben.“
Ich bin schon eine Stunde unterwegs. Weit kann der Gipfel nicht mehr sein. Nach der nächsten Biegung sehe ich ihn immer noch nicht und auch nicht nach der Übernächsten. Es ist schon komisch, fährt man die Strecke mit dem Lift, ist man in fünf Minuten da und sie kommt einem ziemlich mickrig vor. Geht man jedoch zu Fuß, merkt man, wie weit zwei Kilometer bergauf tatsächlich sind. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Plötzlich zerreißt ein lautes Zischen die Stille. Ich schaue mich um, aber wo es herkommt sehe ich nicht. Dann regnen die Flocken auf mich nieder. Aha, man hat die Schneekanonen angeschaltet. Ich muss die Seiten wechseln, damit ich dicht unter den Sprühanlagen vorbei gehen kann und nicht eingeschneit werde. Nach etwa 20 Minuten, sehe ich die Lichter des Gipfelhauses und lege einen Zahn zu.
Gipfelrestaurant Asenturm (1.024 Meter)
Oben angekommen, bin ich durchgeschwitzt, die Tour ist zwar nicht schwer, aber trotzdem sportlich. 386 Höhenmeter sind es bis zum Asenturm, der auf 1.024 Metern über dem Meeresspiegel liegt. In der Gaststube sitzen vorerst nur etwa ein duzend Leute: die Gruppe, der ich vorher begegnet bin und ein paar ältere Männer am Ecktisch. Ich suche mir einen Platz und bestelle bei der Kellnerin eine Johannisbeerschorle und den Wirt – denn mit ihm wollte ich mich hier treffen.
Kurze Zeit später sitzt Martin Reichenberger in Kochhemd und Schütze bei mir am Tisch. Ursprünglich kommt er aus dem Nachbarort Fleckl, das Restaurant Asenturm pachtet er schon seit 19 Jahren. Vor drei Jahren hat der Gastronom begonnen das Restaurant einmal in der Woche zum Skitourenabend zu öffnen, bis 22.00 Uhr anstatt an anderen Tagen bis 18.00 Uhr. „Ich habe gesehen, dass sie es in den Alpen anbieten und gedacht: Das probieren wir mal aus“, sagt Reichenberger. Ihm zufolge findet der abendliche Stammtisch guten Anklang. Immer mehr Leute, vor allem auch Jüngere sehen das Tourengehen als sportlichen Ausgleich nach Feierabend. „Viele machen die Tour zweimal oder dreimal und kehren dann erst ein – je nach Fitnesszustand“, sagt Reichenberger.
Auch der Deutsche Alpenverein (DAV) interessiert sich für das Tourengehen am Ochsenkopf, denn die Strecke ist hervorragend geeignet für Anfänger zum Üben. Aus den Sektionen Kulmbach, Bayreuth und sogar aus Amberg kommen hier die DAV-Bergführer. Sie haben Reichenberger beraten, um zusammen mit dem Seilbahnbetreiber eine Lösung zu finden, damit es nicht zu gefährlichen Begegnungen mit Pistenraupen kommt. Die präparieren normalerweise abends die Strecke – mittwochs allerdings erst nach 22.00 Uhr. Wenn es stürmt, findet kein Skitourenabend statt und das Restaurant bleibt geschlossen. Bei schlechtem Wetter solle man an besten oben anrufen oder auf der Facebook-Seite des Asenturms nachschauen, sagt Reichenberger.
In geselliger Runde
Die Tourensaison am Ochsenkopf beginnt Anfang Januar und dauert manchmal sogar bis Ostern. Der Wirt ist sich sicher, der Trendsport wird in den nächsten Jahren noch beliebter werden und spielt mit dem Gedanken einen zweiten Tourenabend am Wochenende einzuführen. „Es dürfen gern auch andere kommen, wie zum Beispiel Schneeschuhwanderer. Uns geht es hier um einen schönen Abend in geselliger Runde“, sagt Reichenberger. Er selbst kommt nicht oft zum Tourengehen, denn er hat alle Hände voll zu tun, die Wintersportler zu verpflegen. Unter anderem stehen Currywurst mit Pommes auf der Speisekarte, genauso wie warmer Apfelstrudel und natürlich fränkisches Bier.
Inzwischen ist es 19.00 Uhr und nach und nach kommen immer mehr Leute in Skischuhen zur Tür herein gestampft. Wie es sich für Tourengänger gehört, grüßen sie erst einmal freundlich, bevor sie sich setzen. Immer wieder hört man das Klirren der Bierkrüge beim Anstoßen.
Eine Gruppe älterer Herren hat sich an den Nebentisch gesetzt. Sie bitten mich dazu und ich nehme das Angebot an. „Wir sind mit dem Auto hergefahren“, grinst der eine, „aber verrate es keinem.“ Das schwere Instrument hätten sie nicht hertragen wollen. Denn der Mann mit dem Schnauzbart sei ein begnadeter Akkordeonspieler und würde heute für ein wenig zusätzliche Unterhaltung sorgen.
Entspannt, bei einer Tasse heißem Kakao, lausche ich den Akkordeonversionen von unter anderem „Let it be“, „Skifoan“ und „Fürstenfeld“. Die Gaststube ist nun proppenvoll und die Bedienung macht bereits den zweiten Saal auf. Hier könnte ich auch länger sitzen bleiben, aber leider habe ich noch einen langen Heimweg vor mir. Deshalb verabschiede ich mich von meinen neuen Freunden und fahre im Licht der Beschneiungsanlagen zurück ins Tal. Sogar unten auf dem Parkplatz kommen mir noch Leute mit Stirnlampen entgegen, die anscheinend jetzt erst hoch gehen. Ein bisschen Abenteuersport und eine gemütliche Atmosphäre – jetzt ist mir klar, warum die Tour zum Asenturm so beliebt ist.
Leave A Comment