Damals im Jahr 2002, liebe Kinder, gab es keine Blogs, zumindest nicht zum Schweine füttern wie jetzt. Zugang zum Internet gab es auch nur in speziellen Cafés, nicht mit Smartphone, nicht über WLAN. Damals im Jahr 2002 hatte ich ein Tagebuch aus Papier, in das ich geschrieben habe, mit einem Stift. Dieses Tagebuch ist mir neulich wieder einmal in die Hände gefallen. Ich war 19, Australien war meine erste große Reise. Es ist wohl an der Zeit, mein erstes Travel Log zu digitalisieren. Hier einige Auszüge:
30. Juli 2002, 20.30 Uhr, Wake Up Hostel, Sydney
Hier regnet es, europäisches Wetter. Wegen der Zeitverschiebung habe ich einen ganzen Montag verloren. Ich sitze mit ein paar Briten in der Hostel-Bar. Den Jetlag spüre ich deutlich, trotzdem sammle ich erste Eindrücke. Gerade habe ich ein Interesse für Poolbillard entwickelt. Hier gibt es eine seltsame Regel „lost by seven“: Wenn jemand das Spiel verliert, ohne nur eine einzige Kugel zu versenken, muss er mit herunter gelassenen Hosen um den Tisch rennen. Gleich an meinem ersten Abend passiert das zweimal. Während wir das Spektakel beobachten, erklären mir die Briten, dass die Namen vieler deutscher Fußballspieler sich wie britische Schimpfwörter anhören, zum Beispiel Janker wie „wanker“ Kuntz wie „cunts“. Letzteres sei der Grund dafür, dass im Musikvideo für Three Lions alle deutschen Spieler sein Trikot anhaben. Da fällt mir noch ein Spruch ein, den ich von den Briten gelernt habe: „Two World Wars and one World Cup, the British f**ked the Germans up“. Alles nur im Spaß natürlich.
3. August 2002, Bondi Beach, Sydney
Gerade bin ich in meine neue WG eingezogen, in der Warners Avenue, am Bondi Beach. Meine Mitbewohner sind Israelis, alle acht. Die sind ein paar Jahre älter als ich, so Anfang 20 und gerade fertig geworden mit ihrem Wehrdienst. Jetzt brauchen sie Zeit, um das alles zu verdauen, sagen sie. Soweit ich das am ersten Tag beurteilen kann, sind die alle voll ok. Ich packe gerade meinen Koffer aus, bin total müde. Werde ich diesen Jetlag denn niemals los?! Könnte aber auch der Kater sein. Habe Blasen an den Füßen, werde ganz sicher nie wieder barfuß durch Sydney laufen, vor allem nicht im Winter. Bin jetzt stolzer Besitzer eines RSA (Responsible Service of Alcohol)- und RCG (Responsible Conduct of Gambling)-Zertifikats, die braucht man, um hier Arbeit in der Gastronomie zu bekommen. Was ich in dem Kurs gelernt habe: Australier sind entweder Alkoholiker oder spielsüchtig. In den großen Casinos müssen sie die Teppiche regelmäßig wechseln, weil die Leute vor lauter Sucht vergessen, auf die Toilette zu gehen.
„Irgendwann Ende August“ (da habe ich wohl jedes Zeitgefühl verloren)
Wir sind umgezogen, unsere Matratzen waren mit Bedbugs (Bettwanzen) verseucht und das Haus muss ausgeräuchert werden. Jetzt wohnen wir in der Roscoe Street, diese Wohnung ist viel besser als die Alte. Meine Mitbewohner mag ich wahnsinnig gern, vor allem Asaf und Keren. Die beiden Israelis sind ein Paar und passen wirklich gut zusammen. Beide sehen gut aus, haben einen klasse Sinn für Humor und für ihre 23 Jahre schon extrem viel Lebenserfahrung. Sie bringen mir eigentlich ständig neue Dinge bei, zum Beispiel Kochen, Jonglieren, Hebräisch oder Messerkampf. Mit allen Mitbewohnern komme ich klar, nur nicht mit Glenn. Der ist Australier, 35 (damals für mich uralt), groß, hager und irgendwie komisch. In dem Alter führt man doch kein Traveller-Leben mehr (sic!). Glenn ist definitiv nicht auf meiner Wellenlänge, spricht auch nicht so kohärent, wahrscheinlich zu viel gekifft. Ich gehe ihm meistens aus dem Weg. Außer, dass ich mit ihm und dem Kanadier John in einem Zimmer schlafen muss und die beiden jede Nacht ein Schnarchkonzert liefern, ist alles alright.
Habe seit Kurzem einen Teilzeitjob, in einem italienischen Restaurant, das von zwei Libanesen geführt wird. Dort bin ich gleichzeitig Bedienung und Tellerwäscherin. Die beiden Chefs sitzen immer in der Küche und rauchen Shisha. Dort zwischen Tellern und Gemüse lebt auch ein Kakadu namens Yellow Shit. Ich weiß jetzt, warum der so heißt, denn neulich hatte ich einen ganzen Haufen davon auf meinem Rucksack.
Nachtrag: Den Job habe ich nach ein paar Wochen aufgegeben und in einer Sandwichbar im Businessviertel angefangen. Dort wurde ich gefeuert. Unter anderem habe ich meine eigene Hand gegrillt, die Kaffeemaschine ruiniert und halbrohe Schnitzel serviert (hat niemand gesagt, dass man die vor dem Frittieren auftauen muss!) Glücklicherweise konnte ich mit meinen RSA- und RCG-Zertifikat einen Job im Silver Service bekommen bei Pinnacle People (Australia’s largest & only national hospitality staffing & recruitment partner). Diese Jobs waren super, einfach bei großen Empfängen Essen & Wein austragen in 5-Sterne Hotels oder bei den Aries Music Awards im gleichen Raum mit Kylie Minogue und Kelly Osbourne. Leider sind die Aufträge nicht regelmäßig genug und man kommt damit alleine nicht über die Runden. Viel zu oft musste ich auf meine Ersparnisse zurück greifen.
20. Oktober 2002, Sydney Airport
Es ist noch ein wenig Zeit, bevor ich an Bord gehe. Ich weiß gar nicht, ob ich schon mal mit einer 747 geflogen bin. In der Suite, in der ich gerade sitze fängt ein Klavierkonzert an, ich flüchte. Zu Mittag esse ich Hokkien Noodles, die sind lecker. Hätte nicht anfangen sollen zu rauchen, aber immerhin fünf Kilo abgenommen. Ach so, nein, ich fliege nicht nach hause, sondern erst mal nach Thailand. Dort werde ich mich mit Keren und Asaf treffen. Die beiden haben auf dem Weg zurück in die Heimat noch einen Zwischenstopp eingelegt. Vor Australien waren sie schon einmal in Thailand und haben immer davon geschwärmt. Als sie gefragt haben, ob ich mitgehe, musste ich nicht lange überlegen. Aber nur für ein paar Wochen. Australien, ich komme wieder!
To be continued…
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