Frische Luft, Bergpanorama, grüne Wiesen und vor allem ehrliche körperliche Arbeit – so stellt man sich den Alpsommer vor. Wenn aber die Gelenke schmerzen, die Ruhepausen nicht mehr ausreichen und das vernachlässigte Hirn lauthals nach Aufgaben schreit, spätestens dann wacht man auf.

Übrigens, ich bin vom Land, also glaubt nicht, ich hätte mir große Illusionen gemacht. Im Gegenteil, ich dachte sogar, ich wüsste, worauf ich mich einlasse, als ich den Job auf dem Schweizer Bergbauernhof annahm. Zwei Jahre zuvor war ich auf einer Österreicher Alm und dachte mit der Stelle in der Schweiz hätte ich einen regelrechten Schoggi-Job erwischt. Obwohl der Chef in Ordnung und die Arbeit abwechslungsreich war, dachte ich nach den zwei Monaten: „Ich bin zu alt für diesen Sch***!“. Erst weitere zwei Ruhemonate später waren die Finger an meiner rechten Hand wieder voll einsatzfähig.

Hier mal ein kurzer Rückblick auf einen Alpsommer, der genauso schön wie schmerzhaft war:

Schweiz Uri

Alles fing im Mai an, voller Enthusiasmus stellte ich Maulwurfsfallen auf, machte die Stallarbeit und half beim Jauche ausbringen. Dazu mussten wir die Schläuche den ganzen Weg vom Stall auf die Bergwiesen verlegen, denn ein Traktor mit Anhänger wäre umgekippt. Das einzige Gefährt, das den meisten Hochgebirgshängen trotzen kann, ist der sündhaft teure Metrac, der schon mal über 100.000 Schweizer Franken kostet. Auch wenn technische Schwierigkeiten die Sache nicht ganz einfach machten, sah ich es mit Humor, wie ihr unter Mensch vs. Jauchepumpe nachlesen könnt.

Als Biologin freue ich mich natürlich immer, wenn ich mit Tieren arbeiten kann. Das ist euch vielleicht schon bei meinen früheren Blogeinträgen aufgefallen. Das Schweizer Braunvieh ist recht dankbar und gutmütig. Auch hatte mein Chef nur ein paar Milchkühe und sonst nur Rinder, die später mal Milchkühe werden wollten. Also keine aggressiven Mutterkühe und alle ohne Hörner, daher hielten sich kuhverursachte Verletzungen in Grenzen und waren eher auf menschliche Dummheit als auf tierische Aggression zurückzuführen.

In den Bergen gibt es viele Steine. Das überrascht euch wohl nicht, aber habt ihr schon mal dran gedacht, dass diese Steine beim Mähen stören und man sie wegmachen muss? Das wiederum macht besonders viel Spaß, wenn es regnet, auch weil nach dem Regen wieder neue Steine an die Oberfläche gespült werden. Einziger Lichtblick: Den Metrac durfte ich selbst fahren.

Gerade bei dem regnerisch kühlen und teilweise im Mai noch verschneiten Bergwetter ist die Arbeit im Stall besonders gemütlich. Melken, Ausmisten, Füttern und Aufräumen gehen noch, aber Spinnweben auf einer wackeligen Leiter von einer gefühlt etwa zehn Meter hohen Decke kehren, das steht auf meiner Liste der Lieblingsarbeiten ganz weit unten.

Die Landwirtschaft am Berg, in diesem Fall auf etwa 1600 Metern über dem Meeresspiegel ist natürlich anders als im Flachland, schwieriger vor allem. Man braucht kleine, stabile Maschinen und kann eigentlich nur Vieh halten, das man auch füttern muss. Im Sommer sind Kühe und Rinder auf der Weide, aber im Winter braucht man Vorrat, in Form von feuchter, schwerer Grassilage (siehe oben linkes Bild), die beim Gabeln früher oder später jedes Handgelenk ruiniert. Lagern in Form von Heu geht auch. Aber das Bergwetter wechselt schnell und man kann sich nicht erlauben, das Heu zu lange zum Trocknen draußen zu lassen. Deshalb muss es in der Scheune gut durchlüftet werden. Das rechte Bild oben zeigt die Paletten zum Heulagern, aufgestellt (von mir) am Heuboden.

Melken – zweimal am Tag – gehört natürlich zu fast jedem Alpjob, und ist vor allem im Melkstand körperlich nicht sehr anstrengend. Aber es ist eine der Arbeiten, die schnell zur Routine werden.  Außerdem muss man sich beeilen, weil auch eine Kuh irgendwann ihr großes Geschäft erledigen muss und in so einem Melkstand ist nicht viel Platz zum Ausweichen.

Das Zäunen mit schweren Holzpfosten hat Tradition, sieht gut aus und ist verdammt anstrengend. Denn weder laufen diese Pfosten von allein die Hänge hoch, noch hüpfen sie von selbst in die Erde. Also heißt es immer so zehn Stück auf einem Gestell am Rücken hochtragen, dazu noch den Vorschlaghammer und einen ganzen Sack Isolatoren für den Elektrozaun. Ich gebe aber zu, es macht schon Spaß, mit dem großen Schlägel die Pfosten ganz old school in den Boden zu klopfen – zumindest so lange Schultern und Handgelenke mitmachen.

 

Noch mal zum Heu: Da wo es nicht so steil ist, kann der Metrac das Gras mähen, aber bei den großen Steinen, an den matschigen Bächen und an den richtig steilen Hängen muss man das von Hand mit der Sense machen. Und das war wirklich eine meiner Lieblingsarbeiten, nach ein paar Tagen konnte ich sogar das Sensenblatt mit dem Wetzstein und etwas Wasser so gut schärfen, dass die Klinge wie durch Butter durch die Grashalme gerutscht ist. Hier in den Bergen wird übrigens kein einziger Grashalm verschwendet. Deshalb müssen beim Aufladen immer ganz viele Leute (eigene Familie plus Nachbarsfamilie) mit Rechen hinterher laufen und das liegen gebliebene Heu aufsammeln. Das ist auch so eine Arbeit, bei der das Hirn schnell Lagerkoller bekommt.

Das liebe Braunvieh hat immer eine Extraeinladung zum Melken gebraucht, musste regelmäßig gezählt und mit Salz versorgt werden. Manchmal ist auch ein Reh durch den Elektrozaun gerannt, hat die Verbindung unterbrochen und ich musste nach der kaputten Stelle suchen. Was ich damit sagen will: Höhenmeter! Davon hab ich nämlich so einige zurückgelegt. Das fand ich ganz gut, weil das so ähnlich ist wie wandern.

Mir ist aufgefallen, dass bei den Schweizern jede Kuh und jedes Rind eine Glocke trägt und es laut ist wie auf einer Baustelle, wenn man mitten in einer Herde steht. Das führte zu folgender Diskussion: Mein Chef sagt: „Die mögen das.“ Ich sage: „Die haben alle Tinnitus.“ Der Streit wurde nie geklärt, aber zu meiner Genugtuung fand ich neulich folgenden Artikel im Netz: Glocken machen Kühe krank.

 

Die Kälbchen. „Süß!“, werdet ihr sagen, aber seid gewarnt: Wenn sie erst mal die Scheu vor euch überwunden haben, dann werden sie zu Kampfmaschinen. Und dann heißt es: „Willkommen im Land der blauen Flecken.“

 

 

Von allen Tieren, die mir dort oben begegnet sind, hat es mir Joey ganz besonders angetan. Der Hütehund ist ein Border Collie-Mix und gehörte einem der Jungs, die die Hochalp versorgten. Dorthin haben wir Kühe und Rinder Anfang Juli getrieben. Keine leichte Aufgabe, denn es waren über 100 Stück Vieh und wir mussten Straßen entlang und durch Ortschaften, alles in allem aber gutes Cardiotraining. Ihr glaubt ja nicht, wie schnell so eine Kuh rennen kann und das auch gerne über 10 Kilometer.

Also, wie gesagt: Sommer auf der Alp – kann man mal machen, zahlt gut und frische Luft und Sport bekommt man auch. Blauäugig sollte man allerdings nicht an die Sache ran gehen, weil irgendwie ist es doch wie Knast: immer die gleichen Arbeiten, kaum Freizeit und für den Körper sicher kein Sonntagsspaziergang.

Man sollte sich im Voraus fragen, ob man wirklich der Mensch dazu ist, und sich gleich für einen ganzen Sommer verpflichten will. Falls ihr nur reinschnuppern möchtet, einfach auf  Zalp.ch oder Almwirtschaft.com zur Hälfte des Sommers mal nachsehen. Denn bis dahin haben schon einige Saisonhelfer das Handtuch geschmissen und die Betreiber suchen für die letzten ein bis zwei Monate nach Ersatz.