„Du willst ganz alleine reisen? Du bist aber mutig. – Das haben sie zu Hause gesagt“, erzählt Johanna. Ruoyin und ich lachen, „genauso war’s bei uns auch“.
Wir Mädels haben uns im Bus nach Olchon getroffen. Das ist die Insel im Baikalsee – ein heißer Tipp von Sasha, meinem „Couchsurfing-Host“ aus Irkutsk. Was ich dort mache und wo ich übernachte weiß ich noch nicht.
Der Bus hält zur Mittagspause an einer Tankstelle und wir kommen ins Gespräch. Johanna kommt aus Lappland und unterrichtet zuhause Finnisch. Ruoyin ist ursprünglich aus China, studiert aber Politikwissenschaften in San Diego. Sie ist für ein Auslandssemester nach St. Petersburg gekommen und wollte sich das Land noch etwas genauer ansehen. Außerdem spricht sie Russisch, was sich noch als sehr nützlich erweisen sollte.
Während der Busfahrt ist auch die Russin Alona bei uns: Die Anwaltsgehilfin reist auch alleine und möchte Verwandte besuchen, die in einem Ferienhaus auf Olchon wohnen. Später haben wir sie aus den Augen verloren. Wir fragen uns alle, warum so viele Frauen alleine reisen. Johanna sagt, sie habe erst kürzlich etwas darüber gelesen: Männer haben zu viel Schiss. Zumindest weiß ich jetzt, dass ich kein Einzelfall bin.
Der Bus fährt weiter – fünf Stunden über holprige Landstraßen. Der Fahrer steht trotzdem auf dem Gaspedal. Respekt vor den alten aber zähen, russischen Kleinbussen. Wer in der Transsibirischen Eisenbahn seekrank wird, wird es hier erst recht. Und wem auf der Fahrt noch nicht schlecht wird, dem kommt das Essen spätestens dann hoch, wenn er auf die Toilette geht. Mir scheint als würden die Klos immer „spartanischer“ je weiter ich nach Osten komme. In den Zugbahnhöfen waren die Löcher im Boden zumindest noch aus Keramik. An den Tankstellen ist nur noch ein Loch im Boden, an der Fährenstation kann man nicht mehr hinein, weil’s so stinkt und später in der Mongolei besteht das Klo nur noch aus Loch (ohne Boden) mit zwei Brettern darüber. Wären wir in Deutschland, hinge da ein Schild: „Sturzgefahr!“
Reisetipp: In solchen Fällen immer den Reißverschluss von Hosen- und Jackentaschen vorher zu machen, oder Taschen ausleeren. Denn ihr werdet lange überlegen, was ihr macht, wenn der Geldbeutel erst mal da unten liegt.
Die Wartezeiten für die Fähren können unterschiedlich lange sein. Wir hatten Glück und es hat nur eine halbe Stunde gedauert. Ich habe auch schon gehört, dass Leute mehrere Stunden gewartet haben. Es gibt zwei verschiedene Fähren, eine für Gäste und eine für Einheimische, und das wird strikt kontrolliert. Die Überfahrt dauert nicht lange, etwa 30 Minuten. Auf der Insel geht es wieder mit dem Kleinbus weiter – die Straßen werden nicht besser – bis zum Dorf Chushir, dem größten Ort von Olchon. Der Bus hält vor der Touristeninformation. Das Wort steht zwar in Englisch da, aber verstanden wird man nur auf Russisch.
Im Gegensatz zu mir haben Ruoyin und Johanna bereits Zimmer im Voraus gebucht, in Nikitas Hostel, eine der neusten, schönsten und teuersten Unterkünfte der Insel. Die Übernachtung kostet 1300 Rubel im Einzelzimmer. Vollpension ist im Preis inbegriffen und verpflichtend: drei Mahlzeiten am Tag im Hostel-Restaurant. Wenn man also einen Tagesausflug macht, dann hat man schon Geld verschenkt.
Alternativ bekommt man das Vollpensionspaket auch billiger, in einem Guesthouse, das auf Russisch „Bei Olga“ heißt, für 900 Rubel. Übernachtungen ohne Verpflegung reichen von 300 bis 500 Rubel, sind aber nicht so einfach zu finden … wenn man kein Russisch kann. Durchfuttern kann man sich auf Chushir für 400 Rubel am Tag, also kommts auf’s gleiche raus.
Am schönsten wäre es natürlich gewesen, am Strand zu zelten. Das machen auch viele russische Touristen und der Blick auf den See ist einfach traumhaft. Wenn man kein Zelt hat, kann man sich bei Nikitas für 300 (!) Rubel eins ausleihen. Seit 2013 erhebt der National Park Gebühren für die Übernachtung außerhalb des Orts: 200 Rubel. Kontrolliert wird anscheinend stichprobenartig – vorzugsweise Leute mit großen Rucksäcken. Wo man die Erlaubnis beantragt weiß der Teufel.
Wo ich übernachtet habe? Naja, sagen wir, auf gewissen Fußböden in gewissen Hostels für einen verschwindend geringen Betrag. Bitte keine weiteren Fragen.
Nikitas scheint auch der einzige Platz auf der Insel zu sein, an dem man Exkursionen auf Englisch buchen kann. Daher entwickelt man langsam eine gewisse Abneigung diesem Tourismus-Monarchen noch mehr Geld in den Rachen zu schmeißen. Andererseits sollte man sich wohl auch darüber freuen, dass es überhaupt Möglichkeiten gibt für Leute, die kein Russisch können.
Zur Tagesplanung:
1. Tag: Ankunft Nachmittags um 15.00 Uhr, dann Schwimmen im eiskalten Baikalsee – sollte man unbedingt mal gemacht haben. Wenn auch nur um zu zeigen, dass man die Zähne zusammenbeißen kann. Danach Ausritt am Strand für eine Stunde, kostet 750 Rubel – kann man sich sparen. Dagegen sehr zu empfehlen: in der Abenddämmerung Biertrinken am Strand.
Reisetipp: Pinkeln am Strand ist für Frauen mit Vorsicht zu genießen, zumindest wenn man sich nicht verstecken kann. Die Boote leuchten nachts das Ufer ab.
2. Tag: Johanna und ich machen eine Mountainbike-Tour. Fahrräder ausleihen für 500 Rubel geht noch. Obwohl die Räder natürlich weit entfernt sind von der Qualität, die man zum Beispiel am Gardasee bekommt. Unser Ziel: das 40 Kilometer entfernte Nordkap der Insel. Da soll’s sehr schön sein und Süßwasser-Seehunde geben. Aber so weit sind wir nicht gekommen. Auf der Hauptstraße wollten wir nicht fahren und am Strand gibt’s keine Radwege. Nachdem wir also die Räder erst mal eine Stunde durch den Sand geschoben haben, war der Enthusiasmus erst mal weg. Zudem war es an dem Tag auch noch brütend heiß und wir sind nach etwa 15 Kilometern wieder umgekehrt. Zeitweise gab’s aber durchaus ganz schöne Radwege am See entlang.
Ruoyin hat am gleichen Tag eine Busexkursion zum Kap gemacht und meinte: „Da sieht’s auch nicht anders aus.“ Sie hat zumindest keine Seehunde gesehen. Später haben wir erfahren, dass sich die Viecher an einem „geheimen Platz“ im Süden der Insel verstecken.
Highlight des Tages war die Banja, die russische Sauna, mit anschließendem Lagerfeuer im Garten … und natürlich mit Bier. Auf der Insel gibt es Strom erst seit einigen Jahren und daher haben viele Anwesen noch Feuerstellen und viel Holz vor der Hütte. Fließend Wasser sucht man übrigens vergebens.
Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass es auf der Insel sehr kommerziell zugeht. Olchon ist zwar schön, aber nach zwei Tagen sieht ein Aussichtspunkt wie der andere aus. Wenn ich nochmal hinfahren würde, dann nur für eine Kanutour rund um die Insel, diesmal mit Zelten am Strand.
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