Ein Amerikaner hat im Zug zu mir gesagt: „Bleib nicht zu lange in UB.“ Das hatte ich auch nicht vor. Aber nun bin ich schon seit anderthalb Wochen in Ulan Bator, der Hauptstadt der Mongolei. Warum? – Die Umstände eben.
Nun sitze ich hier in Sun’s Nomads Guesthouse (10 US Dollar pro Nacht mit Frühstück) direkt an der Peace Avenue, und bin komplett erledigt. Meine Nerven sind in den letzten Tagen mehr als einmal zusammengebrochen.
Die bürokratischen Exkursionen in dieser Woche wären auch so schon anstrengend gewesen. Sich auf Ämtern zu verständigen, in einer Sprache, die man nicht spricht, kostet noch mehr Energie. Der Lärm und die Hektik kommen noch dazu. Ulan Bator boomt gerade was Bauprojekte betrifft, das bedeutet Presslufthammer und Bohrmaschine überall, den ganzen Tag. Der Verkehr ist wie überall in Asien chaotisch und Autohupen werden gern und häufig eingesetzt, rund um die Uhr.
Angefangen hat alles mit meiner Visumsverlängerung. Mein Tescher-Reiseführer für die Mongolei aus dem Jahr 2010 wusste nicht, dass man die Visas nur noch bei der Immigrationsbehörde in der Nähe des Flughafens verlängert werden können. Nicht mehr beim Auswärtigenamt in der Stadt. Nach der 45-minütigen Bussuche (war klar, siehe Irkutsk) folgt eine 45-minütige Busfahrt, dann wieder 45 Minuten suchen, frustriert ein Taxi herbei winken, sich um die Ecke fahren lassen. Dafür viel Geld bezahlen und sich ärgern. Dann noch mehr ärgern, weil man am Schalter gesagt bekommt, dass ohne Passbilder gar nichts geht. Sich über Schuttberge und kaputte Zäune zur nächsten Bushaltestelle kämpfen, wieder in die Stadt fahren und Passbilder machen lassen. Am nächsten Tag wieder hinfahren und feststellen, dass Samstag ist und die Behörde natürlich geschlossen hat.
Reisetipp: Man vergisst leicht Datum und Wochentag, wenn man lange unterwegs ist. Sich dessen bewusst sein und sich das Datum ab und zu ins Gedächtnis rufen.
noch ein Reisetipp: Wenn man ein Taxi braucht, einfach an die Strasse stellen und den Arm ausstrecken. Meistens halten keine Taxis, sondern ganz normale Leute, die sich etwas dazu verdienen wollen. Die Preise variieren. Richtlinie sind etwa 800 Tugrik pro Kilometer. Ob man bei einem fremden mit ins Auto steigen will, bleibt jedem selbst überlassen.
Die erste Woche habe ich bei Oogi und ihrer Familie gewohnt. Die 25-jährige Mongolin hat Geographie studiert und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden kleinen Kindern in einer Jurten-Siedlung am Rand der Stadt. Sie leben in einem Haus ohne Wasseranschluss oder Sanitäranlagen. Wasser holt man in Kanistern von einer zentralen Verkaufsstelle. Duschen gibt es zwei Straßen weiter für 2000 Tugrik (umgerechnet etwa 1 Euro). Die Toilette steht als „Outhouse“ im Garten. Für ihre Couchsurfer hat Oogi eine Jurte im Garten stehen.
Für Oogi ist Couchsurfing eine gute Möglichkeit ihr Englisch zu verbessern und andere Kulturen kennenzulernen, da ihre Kinder noch zu klein sind, um mit auf Reisen zu gehen. Der dreijährigen Chorma merkt man an, dass sie viel mit Menschen zu tun hat. Sie kennt schon ein paar Worte in Englisch und „highfived“ gern. Berührungsängste hat sie keine. Oogi’s sieben Monate alter Sohn lacht viel und weint sehr selten. Nachts schläft die ganze Familie in einem Bett. Im Vergleich mit der westlichen Kultur leben die Leute hier mit vielen Einschränkungen, sind aber in mancherlei Hinsicht um einiges reicher.
Die buddhistische Religion ist der Familie wichtig und ganz traditionell steht im Haus ein Schrein. Auf einem der Bilder dort ist die kürzlich verstorbene Großmutter zu sehen, auf einem anderen das wichtigste Pferd der Eltern: gute Geister, die die Familie beschützen.
Oogis Mann Kishig ist ein Outdoorguide und Ausbilder mit einem eigenen Pferdetrekking-Unternehmen im Zentrum der Mongolei. Oogi und Kishig sind, wie viele Ulan Batorianer, ursprünglich vom Land. Um ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen und, um ein komfortableres Leben zu führen, sind sie in die Hauptstadt gezogen.
In Oogi’s Haus geht es sehr herzlich und gastfreundlich zu. Kaum sitzt man, hat man schon etwas zu Essen in der Hand. Das Fleisch hier, hauptsächlich Rind, Schaf und Ziege schmeckt nach Wild, wahrscheinlich eine Folge der permanenten Freilandhaltung. Meistens sind noch andere Couchsurfer da, meistens Franzosen. Aber es kommen auch oft Schwestern, Onkels oder Cousins vorbei. Da ist es oft schwierig sich die Namen zu merken. Mongolisch klingt von der Aussprache her ein wenig wie Chinesisch, geschrieben wird es aber in kyrillischen Buchstaben, wie in Russland. Auch hier sprechen viele Leute gar kein Englisch und wenn, dann nur ein bisschen. Es gibt aber auch viele junge Leute, die einige Zeit im Ausland waren und die Sprache ziemlich gut beherrschen.
Für meinen Trip auf’s Land wollte ich noch einige Sachen auf dem billigen „Black Market“ einkaufen und nach den Preisen für Sättel, Pferde und Ausrüstung fragen. Ich habe mir schon gedacht, dass meine Chancen mit Englisch gleich null sein werden. Daher habe ich in der Touristeninformation eine Dolmetscherin bestellt (30 000 Tugrik für den Tag). Dava ist Anfang 20 und studiert BWL in Wien. Sie hat mir sehr geholfen und so habe ich bei unserer Shopping Tour im Gewusel des riesigen „Black Market“ nur einen Bruchteil der Nerven gelassen, als sonst beim Einkaufen. Wer mich kennt, weiß das ist Folter für mich.
Am nächsten Tag war ich in der Kasachischen Botschaft, um mich nach Visa-Optionen zu erkundigen. Nach der Mongolei wollte ich nach Usbekistan, aber das Internet kennt nur Flüge von Ulan Bator (kurz UB) über Peking, was in der entgegengesetzten Richtung liegt. Reisende haben mir von einem Flughafen in Ölgii erzählt, ganz im Westen der Mongolei, der nur Almaty in Kasachstan anfliegt. Daher wollte ich zur Kasachischen Botschaft und nachfragen, ob ich ein Transitvisum brauche. Natürlich war es ein Denkfehler anzunehmen, dass alle Behörden zur gleichen Zeit aufmachen und ich musste noch eine Stunde vor der Botschaft warten. Übrigens, ist die Kasachische Botschaft an den Stadtrand umgezogen und liegt nicht, wie von Tescher’s 2010 Reiseführer beschreiben, im Stadtzentrum.
Da stehe ich also und will zum Zeitvertreib ein paar Fotos machen. Baustellen als Motive gibt es immer zur Genüge. Da hält auf einmal ein Auto und drei Polizisten steigen aus: Fotos machen von Baustellen verboten. Warum auch immer. Dann Ausweiss-Kontrolle. Der Polizist hält meinen Reisepass in der Hand und fragt mich ab. Name? Ankunftsdatum? Ausweisnummer?! Ich denke: „Wer merkt sich die denn? Der verarscht mich doch.“ Tut er auch. Fünf Minuten später rauchen wir seine Zigaretten und unterhalten uns. Er drei Brocken Englisch, ich drei Brocken Mongolisch. Ob ich verheiratet sei und, ob ich eine Telefonnummer hätte…
In der Botschaft ging’s nicht so freundlich zu: Es gibt nur ein 30-Tage Visum, kostet 30 Dollar, Bearbeitungszeit fünf Tage. Auf gar keinen Fall bleibe ich noch eine Woche in UB. Der reinen Logik zu Folge sollte ich kein Visum brauchen, wenn ich den Transit-Bereich des Flughafens nicht verlasse. Finden wir’s raus. Vielleicht komm ich noch nicht mal so weit.
Zu guter Letzt: Die große Finanzkrise.
1. Problem: Ich dachte die ganze Zeit ich könne auf einmal einen größeren Betrag abheben, um die Transaktionskosten zu sparen – dachte ich. Das Limit am Bankautomaten sind 600 000 Tugrik pro Tag.
2. Problem: Nur an den Automaten kann man mit Maestro/EC-Karten abheben, nicht in den Banken, obwohl es da höhere Beträge gibt.
3. Problem: In den Banken kann man mit Mastercard und Visa abheben, natürlich nicht ohne zuvor eine Nummer zu ziehen und lange zu warten.
4. Problem: Geld-Abheben mit Kreditkarte geht nur mit PIN. Schon seit Jahren kann ich mich nicht an meine erinnern. Da hätt ich mich wohl mal früher drum kümmern sollen.
5. Problem: Zeitdruck. Mein Bus fährt heute Abend und auf dem Land gibt es keine Möglichkeiten diese technischen Probleme zu lösen.
6. Problem: Ich kann niemandem die Situation erklären, weil mich niemand versteht.
So, und wieder einmal ist der „Cluster Fuck“ komplett.
Reisetipp: In solchen Situationen hilft heulen durchaus, um den Druck abzubauen … Alkohol übrigens auch. Zur Problemlösung trägt beides aber nicht bei. Also kurz Durchschnaufen, ruhig bleiben und weiter machen.
Am Ende ist meine PIN aufgetaucht. Natürlich an einem Freitag Abend – morgen haben die Banken zu. War klar.
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