Auf die Frage, wie viel Heu seine Familie für den Winter braucht, überlegt Uyadagwa kurz. Dann zeigt er zum Horizont. „Bis dorthin müssen wir das Gras mähen. Dann laden wir es auf den Lastwagen. 20 Mal müssen wir zum Lager fahren. Dann haben wir genug.“

Uyadagwa  (41 Jahre) und seine beiden Brüder  Enkhjargal (33 Jahre) und Batchuluun (23 Jahre) leben in der Khentii Provinz der Mongolei. Hier wurde Dschingis Khan geboren, hier ist die Steppe grün und das Gras saftig. Aber die Winter sind hart mit Temperaturen bis minus 40 Grad Celsius und können lange dauern. „Wir fangen Ende November an Heu zu füttern“, sagt  Uyadagwa , „wenn das Wetter gut ist, nur bis März, wenn nicht, dann bis April oder Mai.“

Seine Familie besitzt 300 Schafe und Ziegen und 40 Pferde und Yaks. Die Viehwirtschaft ist ihre Lebensgrundlage, sie verkaufen das Fleisch der Tiere, Milchprodukte oder Wolle.  Daher ist es wichtig, dass alles Vieh den Winter gut übersteht. Hauptsächlich die Jungtiere bekommen in der kalten Jahreszeit zusätzlich Futter, die Alten finden genug Gras unter der Schneedecke.  Eine Extraportion Heu gibt es für Arbeitspferde, die im Winter genutzt werden und für die Pferde, die im nächsten Jahr Rennen laufen sollen. Sie sind der Stolz der Familie. Einen ganzen Lastwagen Heu rechnet Uyadagwa für jedes seiner drei Rennpferde.

Für die Mahd haben die drei Brüder ihre Zelte in der Steppe aufgeschlagen, mehrere Kilometer entfernt von ihren Jurten und noch weiter von der nächsten Stadt, Tsenkhermandal. Von Ende August bis Mitte September bleiben sie draußen, so lange, bis sie genug Gras nach Hause gebracht haben. „Manchmal kommen die Frauen und bringen Essen, ansonsten müssen wir selbst kochen“, sagt  Uyadagwa.

Nach einem Frühstück aus warmem Joghurt mit Reis und Rosinen gehen sie an die Arbeit.  Zusammen hängen die beiden älteren Brüder den Mähwagen an den kleinen chinesischen Traktor und fahren los. Uyadagwa  sitzt am Steuer und Enkhjargal hinten auf dem Anhänger. Er hebt und senkt das Balkenmähwerk per Hand. Der Jüngste, Batchuluun, bleibt im Lager und schleift und hämmert an den Ersatzteilen. An den Tagen zuvor haben sie das gesamte Gelände abgesucht und die Steine weggeräumt. Dabei haben sie wohl einen übersehen, denn plötzlich bricht einer der Metallfinger aus dem Mähwerk. An solche Schwierigkeiten sind die Männer gewöhnt. Der jüngere Bruder bringt sofort Ersatz und mit vereinten Kräften setzen sie das Gerät wieder instand.

Früher haben sie den Mähwagen mit dem Pferd oder dem Kamel gezogen, aber seit sechs Jahren nutzen sie den Traktor. „Das ist besser für die Tiere. Für sie ist es harte Arbeit“, sagt  Uyadagwa. Seine Familie ist eine der wenigen, die immer noch Pferde einsetzt, zwar nicht zum Mähen aber zum Zusammenrechen. Dafür haben sie einen großen Rechen mit zwei Rädern, der von Khaliun gezogen wird. Khaliun bedeutet Falbe. In der Mongolei haben die Pferde keine richtigen Namen, sie werden nach ihrer Farbe benannt. Früher war der Falbe ein Rennpferd, bis er sich ein Bein gebrochen hat. Die Familie hat ihn gesund gepflegt und setzt ihn seither als Zugpferd ein. „Die Rennpferde bleiben immer nah bei der Jurte“, erklärt Uyadagwa, „deshalb sind sie an Menschen gewöhnt und besonders umgänglich.“

Der Falbe sieht aus, als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen. Gelassen zieht er den Rechen, ab und zu schnappt er sich einen Bissen Gras und kaut während der Arbeit darauf herum.  Batchuluun, der die Zügel in der Hand hält, lässt ihn gewähren und treibt nur manchmal ein wenig an: „Shu! Shu!“. Zusammen schaffen sie es, drei große Grashaufen in weniger als einer Stunde zusammenzurechen.

Die Brüder werden das Gras heute noch mit dem Lastwagen zum Winterlager bringen und es erst dort in der Sonne trocknen. „Es ist zu gefährlich es hier liegen zu lassen“, sagt  Uyadagwa, „die freilaufenden Pferde- oder Rinderherden würden es wegfressen.“

Das Land hier gehört niemandem und alle Familien im Umkreis lassen ihr Vieh dort weiden. In der mongolischen Steppe gibt es keinen Grundbesitz. Die Familien schlagen ihre Lager dort auf, wo sie es bereits seit Generationen tun. Man kennt sich in der Gegend, Grundbücher braucht es nicht.

Fotos (alle, bis auf das Letzte): Lochner
Letztes Foto: Khishig