Als wir zum ersten Mal anhalten, ist das hintere Zahnrad locker. Ich steige ab, Basa auch. Er setzt sich hinter das Motorrad und zieht einen Schraubenschlüssel aus seinem Deel, dem traditionellen mongolischen Mantel. Das bunt-verziehrte Kleidungsstück hat keine Taschen, nur einen Stoffgürtel, der um die Taille gewickelt wird. Basa bewahrt das Werkzeug einfach im Mantelumschlag auf. Manchmal klappert es, wenn er sich bewegt.

Er sitzt also hinter dem Motorrad und zieht die Schrauben am Radlager fest. Das hilft nichts, das Zahnrad wackelt immer noch. Er steht auf und kratzt sich kurz am Kopf. Anscheinend hat er eine Idee, denn er löst die Schnur vom Gepäckträger, mit der die Luftpumpe festgezurrt ist. Dann habt er einen Stein auf und beginnt, damit auf die Schnur zu klopfen. Ich ziehe mein Taschenmesser aus der Hose und gebe es ihm. „Damit geht’s schneller“, sage ich. Basa versteht zwar kein Englisch, aber er nimmt das Messer dankend an und schneidet die Schnur in zwei gleiche Stücke. Mit dem einen wickelt er die Luftpumpe wieder an den Gepäckträger, mit dem anderen bindet er das Zahnrad ans Radlager.

Wieder einmal staune ich über die Knotenkunst, die jeder Mongole bis zur Perfektion beherrscht. Die Leute hier sind Meister der Improvisation. Denn sie leben in einem Land mit schlechten Straßen, auf denen Autos und Motorräder ständig kaputt gehen. Auch beim Pferdetrekking habe ich erstaunt zugeschaut, was ein Mongole mit einer einfachen Schnur alles anstellen kann. Kein Spezialequipment, keine Spanngurte aus reißfestem Material, wie bei uns; ein paar einfache Stricke genügen um zu reiten, die Pferde anzubinden oder das Gepäck auf Pferd, Motorrad oder Auto zu schnallen. Die Knoten sind gut, sie halten. Manchmal reißen die Stricke, aber das ist auch kein Problem, dann wird eben erneut improvisiert.

 

 

Wir fahren weiter, aber nicht lange. Dann halten wir wieder. Ich habe keine Ahnung, was diesmal der Grund ist. Zum Rauchen hält Basa normalerweise nicht, das geht auch freihändig auf dem Motorrad. Also sind es wieder technische Schwierigkeiten. Basa läuft zum Straßengraben und schleppt große Steine an. „Was soll das denn jetzt?“ denke ich. Er stapelt die Steine neben dem Motorrad, hebt es am Gepäckträger an und zieht es auf den Steinhaufen. Er möchte es aufstützen, um frei am Hinterrad arbeiten zu können. Jetzt hab ich es auch verstanden und helfe, weil bei den ersten Versuchen der Steinhaufen immer wieder auseinander fällt. Basa schraubt das Hinterrad ab und zerlegt es. Er versucht mir zu zeigen, was das Problem ist. Ich bin kein Mechaniker, sonst könnte ich vielleicht etwas Erklärendes sagen, wie: „Das Radlager hat sich gefressen.“ Ob das so stimmt, weiß ich nicht, zumindest sieht es so aus. Er kratzt ein wenig darin herum, erst mit dem Messer, dann mit dem Finger und schraubt das Rad wieder an das Motorrad. Das Zahnrad für die Kette wird wieder dran geschnürt.

Dann zieht er sein Handy unter dem Deel hervor, ich vermute aus einer Hosentasche. Als eine Stimme am anderen Ende antwortet, sagt er ein paar Sätze auf Mongolisch. Danach reicht er mir das Telefon. Es ist Tunga, seine Schwägerin. Sie ist die Englischlehrerin in Tariat, einem kleinen Ort am Weißen See. „Mach dir keine Sorgen“, sagt sie, „mein Bruder kann das Motorrad reparieren. Danach ist es so gut wie neu.“ Dazu sage ich nur, dass wir zuhause darüber reden.

An dem Punkt hatte ich längst beschlossen, dass ich das Motorrad nicht kaufen werde. Für eine Million Tugrik ist mir eine Maschine, die ständig Probleme macht viel zu teuer. Und wie gesagt, ich bin kein Mechaniker. Ich würde nicht weit damit kommen. Angenehm zu fahren ist sie schon, die chinesische Shineray Mustag-5. Genau die richtige Höhe für meine kurzen Beine und mit 200CC sportlich genug für die Feldwege hier, im „Wilden Westen“ der Mongolei.

Nach einer Stunde Fahrt in östlicher Richtung, erreichen wir den Anfang der geteerten Straße nach Tsetserleg. Basa möchte mich zu einem Geldautomaten bringen, denn die gibt es anscheinend nur in den Aimag-Zentren, den Provinz-Hauptstädten. Die Sonne verbrennt mir an dem Tag das Gesicht. Ich trage weder Helm noch Sonnenbrille. Basa hat immerhin ein Cappy auf. Wie schnell wir fahren, weiß ich nicht. Der Tacho ist auch kaputt. Aber ich schätze, die Höchstgeschwindigkeit auf etwa 80 Km/h, schneller geht es bei den ganzen Schlaglöchern nicht. Es hat geheißen, die Fahrt würde zwei Sunden dauern. Nach viereinhalb Stunden sind wir da.

Zunächst kehren wir natürlich bei der Verwandschaft ein und trinken salzigen Milchtee. Dann suchen wir einen Geldautomaten. So, und hier kommt der Wink des Schicksals: Meine PIN funktioniert nicht. Man erinnere sich an meine große Finanzkrise in Ulan Bator. Ich hatte die Kreditkarten-PIN vergessen. Bevor meine Mutter die alte Nummer zuhause gefunden hat, hat meine Bank eine Neue bestellt. Die sollte erst einige Tage später zuhause auftauchen. Ok, immerhin musste ich keine Ausreden erfinden, um das Motorrad nicht zu kaufen. An dem Punkt wusste ich aber, dass ich meine Pläne zum großen Outdoor-Abenteuer in die Tonne klopfen konnte.

Langsam wird es dunkel und Basa will das Hinterrad des Motorrads austauschen. Vor 21.00 Uhr kommen wir nicht weg aus Tsetserleg. So heiß die Tage auf dem Land auch sind, so eiskalt sind die Nächte. Kurz nachdem wir die Stadt verlassen haben, zucken auch schon die ersten Blitze am Himmel. „Das wird ein Spaß“, denke ich mir und verstecke mich hinter Basa. Bald fängt es an zu regnen. Jeder Zentimeter im Gesicht, der dem Fahrtwind ausgesetzt ist, schmerzt wie tausend Nadelstiche. Ich trage zwar alle Kleidung, die ich dabei habe (Skiunterhemd, Vlies, Synthetikdaunenjacke und Regenjacke), aber irgendwann bin ich durchgefroren. Wie immer vergeht die Zeit langsamer, wenn man leidet.

Basa scheint es ähnlich zu gehen. Irgendwann halten wir bei einem mongolischen „Roadside Diner“ an und er kauft zwei Dosen Bier. Die verschwinden zunächst im Brustumschlag des Deel und kommen einige Kilometer später wieder zum Vorschein. Basa trinkt seines auf Ex und wirft die Dose in den Graben. Ich freue mich natürlich über das Bier, kann es aber bei der Kälte nicht so schnell trinken. So verbringe ich die nächste halbe Stunde der Fahrt mit der Dose Bier in der Hand. Das ist an dem Punkt auch schon egal, ich spüre meine Finger sowieso nicht mehr. Trotz der Handschuhe.

Zehn Kilometer vor Tariat soll ich fahren. Die Fahrstunde hatten wir eigentlich am Vormittag vereinbart, aber wegen der vielen technischen Schwierigkeiten ist es nicht dazu gekommen. Auch wenn ich das Motorrad nicht kaufen will und kurz vor dem Kältetod bin, die Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. Bibbernd setze ich mich nach vorn. Im Scheinwerferlicht sehen die vielen Feldwege aus, wie ein undurchschaubares Gewirre. Wegen der Schatten, sind die Schlaglöcher erst spät zu erkennen. Irgendwie geht es trotzdem. Dann kommen plötzlich zwei kläffende Hunde angelaufen. Wir sind wohl in der Nähe einer Jurte und haben die Wachhunde geweckt. Ich weiß nicht recht, was ich machen soll, habe ich doch Angst in die Wade gebissen zu werden. Basa merkt das und greift nach vorne zum Gas. Wir jagen davon, in die schwarze Nacht. Bis jetzt wundere ich mich, wie ich keinen Unfall bauen konnte.

Wir kommen etwa um zwei Uhr am Gästehaus an. Ich muss erst mal auf die Toilette. Leider lassen sich meine blauen Finger nicht mehr bewegen und ich tüftle lange, bis der Hosenknopf aufgeht. In dieser Nacht werde ich mich noch zwei Stunden lang im Schlafsack wälzen, bis Hände, Füße und vor allem die Knie, nicht mehr weh tun.

Tja, was soll ich dazu sagen. Im Nachhinein mal wieder ein Abenteuer. Eines, von dem ich immer noch etwas habe. Denn selbstverständlich bin ich jetzt erkältet.